Stefan Banz: Zwei Glasscheiben, Sockel, Bad, Gras
Vier Werkbeschreibungen


Zwei Glasscheiben
Meine erste Installation für die Ars Futura Galerie, Zürich, bestand aus zwei grossen Glasscheiben (je 300 x 150 x 0.5 cm), die den offenen Ausstellungsstand der Galerie 1994 auf der Art in Basel gegen den Gang hin abgrenzten. In der Mitte blieb ein hundert Zentimeter breiter Schlitz offen. Obwohl die Besucher von aussen sämtliche ausgestellten Werke in der Koje mühelos überblicken konnten, fühlten sie sich gedrängt, durch den Schlitz ins Innere zu gehen. Es entstand eine ungewöhnliche Sogwirkung, wenngleich die grossen, dünnen, zerbrechlichen, durchsichtigen und nahezu freistehenden Gläser - besonders beim Durchschreiten der Oeffnung - ein eher unangenehmes Gefühl evozierten. Einerseits waren sie kaum wahrzunehmen, andererseits erschienen sie uns geradezu unheimlich präsent. Der einfache architektonische Eingriff erwies sich in diesem Sinne als ein vieldeutiges, taktiles Gebilde, das uns herausforderte, nach dem Innen und Aussen und dem tatsächlichen Ort des Kunstwerks zu fragen, und gleichzeitig die nicht auf formale und ästhetische Kriterien reduzierbare Antwort hier und jetzt erlebbar machte.

Sockel
Die Installation Sockel auf der Art Cologne 1995 war ein ähnlicher architektonischer Eingriff. Ein weisses, 18 cm hohes Podest bedeckte den Boden des wiederum nach vorne offenen Ausstellungsstandes. Sein Abstand zu den Wänden betrug ebenfalls 18 cm. Dieses minimalistische, nahezu flächendeckende Bodenobjekt schien nun den Galeristen mit seinen Arbeitsgrundlagen (Mobiliar, Schreibmaschine, Dokumentationen) zum Kunstwerk zu erheben, aber ebenso die Besucher, die es bestiegen und leicht erhöht die aufgehängten Werke betrachteten. Durch den diskreten Abstand zu den Wänden und die intensive und gleichmässige Reflexion des fahlen Lichts von der Decke (die Koje wirkte gegenüber ihrer Umgebung doppelt so hell), vermittelte es gleichzeitig etwas Schwebendes,
Autonomes. Alles erschien realer und gleichzeitig entrückter. Mit anderen Worten, Interaktion, Vermittlung und Rezeption vermischten sich durch diese Setzung zu einem vielschichtigen Ereignis. Sämtliche Akteure im Betriebssystem Kunst wurden durch ihren Auftritt zu einem integrierenden Bestandteil des Werks, wobei unterschiedliche Standpunkte unterschiedliche Realitätsebenen provozierten und gleichzeitig die einfache und unprätentiöse, aber unmissverständliche Präsenz des Objekts unterstrichen. Die Wirklichkeit wurde in diesem Sinne zur Kunst, während die Kunst Wirklichkeit wurde.

Bad
Bei der Installation Bad - auf der Art Cologne 1994 zum ersten Mal realisiert - ist eine Koje durch ein 300 x 400 x 1 cm grosses Glas gegen den Gang hin abgetrennt. Im Innern steht die Ausstellungsfläche knöcheltief unter Wasser. An der Stirnwand hängt eine grosse Photographie (150 x 225 cm) eines lächelnden Mädchens, das nackt in einer fast leeren Badewanne ausgestreckt auf dem Rücken liegt. Auf der einen Seite der Koje ist eine Klapptüre angebracht, durch welche wir ins Innere eintreten können.
Sobald wir den Fuss ins Wasser setzen, werden viele Erinnerungen wach, die uns manchmal in eine Welt sentimentaler Gefühle führen. Wir waten umher und freuen uns, wenn die Wellen wie kleine Blitzlichter an den Wänden der Koje reflektieren. Es entsteht ein Hauch von Magie. Plötzlich aber bemerken wir, dass wir von Draussen durch das Glas beobachtet werden: Wir sind ein Teil der Installation geworden. Das Wasser, in dem wir gerade stehen, scheint nun auf einmal dasjenige zu sein, welches in der Wanne des Kindes ausgelaufen ist. Fühlt sich das Mädchen in seiner Blösse tatsächlich so wohl, wie wir zuerst dachten, oder blickt es uns nicht vielmehr in gebannter Erstarrung entgegen? Aber warum? Ist das Photo nicht das Abbild einer ganz alltäglichen Situation, die wir alle selbst aus unserer Kindheit kennen, wo wir frierend und etwas verkrampft und verlegen auf das Blitzlicht warten? Als ein Zeichen der Unsicherheit beginnen wir uns Geschichten im Kopf zurechtzulegen, doch keine Erklärung ist wirklich plausibel, wenn wir gleichzeitig ignorieren, dass das photographierte Kind in der Wanne einer anderen Realität angehört, als der Raum und das Wasser, in welchem wir stehen. Das heisst, sämtliche Verknüpfungen dieser unterschiedlichen Realitätsebenen zu einer einzigen Geschichte sind Illusionen, oder anders ausgedrückt, Verkürzungen und Erfindungen unserer eigenen Imagination - und dennoch unmittelbar mit der Wirklichkeit zu vergleichen.

Gras
Bei meiner Installation Gras - auf der Art in Basel 1995 zum ersten Mal realisiert - hängt in einem halboffenen Raum eine grosse Photographie (225 x 150 cm) einer jungen Frau, die wie eine Sphinx im Gras liegt. Auf dem Boden sind flächendeckend getrocknete Cannabis-Pflanzen ausgelegt. Die Installation hat sowohl etwas Spektakuläres, als auch etwas sehr Sinnliches und Kontemplatives, weil wir nicht entscheiden können, ob es eher darum geht, etwas Verbotenes zu tun, oder darum, ein Statement für die Legalisierung der Haschischpflanze abzugeben und dabei die sinnliche und ästhetische Komponente zu betonen. Dieser Umstand wirkt verunsichernd, weil viele von uns sich beglückt fühlen, vom intensiven Duft des getrockneten ‘Grases’ und vom Reiz, etwas davon mit nach Hause zu nehmen. Sobald wir aber über die Pflanzen schreiten und einige Blätter in die Hand nehmen, werden wir ein massgeblicher Teil der Arbeit. Wir beobachten und handeln und müssen gleichzeitig darauf achten, dass wir dabei nicht selbst beobachtet werden, denn das ‘Gras’ ist nicht nur illegal, sondern man stiehlt auch keine Kunst (oder einzelne Teile davon), besonders dann nicht, wenn uns z.B. eine sphinxähnliche Gestalt zuschaut: Das Bild zeigt das monumentale Blow up einer Frau in Frontalansicht mit dunkler Sonnenbrille, schwarzem, tiefgeschnittenem, ärmellosem T-Shirt und einem bunt glitzernden Kreuz mit rotem Band um den Hals. Die Frau wirkt kolossal und erotisiert die Szenerie mit ihrer unmittelbaren und fleischlichen Präsenz. Sie steigert zudem die Vernetzung der verschiedenen Realitätsebenen, von welchen uns jede einzelne von neuem irritiert. Das heisst, es gibt keine Klärung, weil wir alle selbst die Klärung sind. So wie wir handeln oder uns verhalten, entfaltet sich die innere und äussere Kraft der Installation. Sie ist ein konzentriertes, mehrdimensionales Werk zum Anfassen, das sowohl unsere Sinnlichkeit als auch unsere Interpretationslust, unsere Vorurteile und unseren Reiz am Verbotenen herausfordert, und uns gleichzeitig selbst ins Zentrum des Geschehens setzt.

Luzern, 30. Dezember 1995