5.12.00


Die Langsamkeit der Datenübertragung bestimmt Konzept und Ästhetik vieler künstlerischer Netzprojekte. Im Gegensatz zu Texten sind Bilder im Internet Zeitfresser. Besonders bei den frühen Autoren von Netzkunst kann man deshalb auf einen ausgeprägten Ikonoklasmus stossen, der allerdings raffinierte Blüten der indirekten Bildentstehung treiben kann. Grundlage solcher visuellen Arbeit ohne Bilder ist das Vokabular der rohen Hyper Text Markup Language (HTML), ihre Formular-, Farb- und Ascii-Codes. Dahinter steckt ein sportiv anmutendes Spiel mit der Datenreduktion und die technoromantische Attitüde des "low tech". Rohmaterial der Bildentwürfe sind die system-immanenten Zeichen und Formen jedes Computers. Per textbasierter Programmierung werden sie aufgerufen und zu einer Bildmontage komponiert. Neben jodi.org aus Holland gehören der Moskauer Künstler Alexei Shulgin und der Kroate Vuk Cosic zu den prägenden Autoren einer solchen selbstreferentiellen Online-Kunst.


Ascii-Art
Ascii ist die Abkürzung für "American Standard Code for Information Interchange". Dieser Code wird benutzt, um Zeichen elektronisch über Leitungen zu versenden. Zum Beispiel steht für "A" die hexadezimale Zahl "41" oder die Dualzahl "100 0001". Ascii-Kunst arbeitet also mit einem computerspezifischen Standard-Zeichensatz von Buchstaben, Zeichen und Zahlen. Vuk Cosic in Lublijana setzt die ASCII-Zeichen ein wie die Rasterpunkte einer Druckgrafik. So entstehen schnellladende Bilder. Mit Hilfe einer Ascii-Camera, welche wie ein Fotoapparat Bilder aufnimmt und sie im Ascii-Code aufrastert, kann Cosic zum Beispiel Portraits herstellen oder Ausschnitte aus bekannten Filmen wie Blow Up transformieren.
http://www.ljudmila.org/~vuk/ascii/


Form Art
Auch die sogenannte Form Art gehört zur "Arte Povera" der Netzkunst. Der Moskauer Netzkünstler Alexei Shulgin prägte den Begriff 1997. Als Bildelemente dienen Buttons, Scrollleisten und Texteingabefelder, welche per Programmiertext im Browser des Anwenders automatisch generiert werden. Shulgin geht es um die Arbeit mit einer standartisierten Computerästhetik, die auch auf alten Computern und Browsern und über langsame Modems funktionieren kann. Ein Wettbewerb für Form Art bekam 1997 eine Auszeichnung an der Ars Electronica in Linz.
http://www.c3.hu/collection/form/list.html
http://remote.aec.at/form/competition.html


The Internet Beggar
Ein Meister der offensiven "Wörtlichkeit" ist der englische Künstler Heath Bunting. In seiner Arbeit "Skint - The Internet Beggar" führte Bunting 1996 über Sprache und Programmierung die hochtrabende Metaphorik im Cyberspace zurück ins Konkrete. In die beliebten "Guest Books" populärer Websites, also mitten auf die Datenautobahn, stellte Bunting eine Bettlerfigur, evoziert durch 3 Sätze: "Excuse me mister! could you spare a dollar?" "Ok you humble internet beggar, charge my credit card!" "God bless you sir!" Dazu fügte der Künstler auf der fremden Site in Hacking-Methode ein Formular ein, über das man die Nummer seiner Creditcard direkt an den Wegelagerer weitergeben konnte. Vermutlich machte das keiner, aber im "Dreisprung" Datenautobahn - Bettler - Kreditkarte entzündet sich ein präzis-ironisches Bild unserer Wohlstands- und Informationsgesellschaft. rest
http://www.irational.org/heath/skint/



Adventskalender
Auf der Thuner Kunst-Plattform report.ch bieten in diesem Dezember Susanne Schär und Bruno Steiner die Online-Version eines Adventskalenders. 24 Schweizer Künstlerinnen und Künstler, darunter Namen wie Dettwiler, Gartentor, Graumann, Schmid, Schwander und Stauch steuern Beiträge bei. So öffnet man täglich (beim ersten Mailabruf?) ein neues Fensterchen und ist gespannt auf die nächste Miniaturenidee. Die Einstiegsseiten und ersten Tagesbilder präsentieren sich vielversprechend und ausgesprochen freundlich.
http://www.report.ch/surprise