13.3.01


Wer bin ich? Brandneu ist die Frage nicht – und doch hat bisher niemand eine nachhaltig befriedigende Antwort geliefert: Weder Descartes mit seinem Cogito noch Nietzsche mit seinem ergo politico, weder Jaspers mit seiner Transzendenz noch Robert Lembke mit seinen Schweinchen. Und auch Rimbaud hat mit seinem «Je est un autre» letztlich doch bloss Verwirrung gestiftet. Visionär war einzig Sartre als er schrieb: «Das Sein, durch das das Nichts in die Welt kommt, ist ein Sein, dem es in seinem Sein um das Nichts des Seins geht: das Sein, durch das das Nichts in die Welt gelangt, muss sein eigenes Nichts sein». Plus und Minus, Null und Eins – der Franzose hat geahnt, dass die Frage nach dem Sein dereinst durch die Elektronik eine erhebliche Komplizierung erfahren würde.
Ob man nun bloss eine Adresse im Netz hat, in Chatrooms mitplappert, Avatare als elektronische Selbst-Vertreter die dreistesten Abenteuer erleben lässt oder sich mittels einer eigenen Homepage exhibiert – die möglichen Selbstentwürfe und Identitäten im Netz scheinen grenzenlos und wer bei «Google» die Frage «Wer bin ich?» eintippt, erhält 642’000 Antworten zur Auswahl. Seit den Anfängen des Netzes haben sich auch Künstler immer wieder mit Fragen der Identität im WWW beschäftigt. Vier Beispiele seien hier kurz vorgestellt, die ersten können heute geradezu als Klassiker gelten.


Swap die ID
Im Rahmen der von Olia Lialina und Heath Bunting angebotenen «Identity Swap Data Base» werden wir aufgefordert, Daten zu unserer Person einzugeben und zum Tausch anzubieten: Grösse, Geschlecht und Gewicht, die Farbe von Haut und Haar. Im Gegenzug dürfen wir sodann die Datenbank auch nach einer alternativen Identität für uns selbst durchsuchen. Die Resultate unserer Abfragen sind allerdings ziemlich zufällig – das kann Unlust produzieren oder zum Gedankenspiel mit Identitäten wider-willen anregen.
http://www.teleportacia.org/swap/


Read den Konzern
Wer die Seite «readme» von Heath Bunting besucht, kann zunächst kaum Ungewöhnliches entdecken. In einem ziemlich ausführlichen Text, einst gedruckt in dem Magazin «Wired», schildert der britische Netzaktivist seinen Lebenslauf: Vom gelangweilten Teenager und Hacker zum Radiopiraten, vom Täter im öffentlichen Raum zum «digital culture artivist». Als Kind habe er sich immer wieder mit grösseren Buben angelegt, gesteht Bunting, heute kämpfe er mit multinationalen Konzernen und grossen Glaubensgemeinschaften. Leicht misstrauisch macht einen bei der Lektüre dieser Netzheldengeschichte bloss, dass jedes einzelne Wort mit einem Hyperlink ausgestattet ist – klickt man drauf, dann wird man meist zu der gleichnamigen Website eines Konzerns geführt.
http://www.irational.org/heath/_readme.html


Orlan den Body
Die französische Künstlerin Orlan, die sich seit Jahren mittels immer neuer plastischer Operationen dem jeweils aktuellen Schönheitsideal anzupassen sucht, verfügt seit nicht allzu langer Zeit auch über eine eigene Homepage. Auf dieser professionell gemachten Seite können wir in Text, Ton und Bild die gesamten chirurgischen Schnitzereien mitverfolgen, die Orlan in den letzten Jahren über sich hat ergehen lassen. Wem das etwas zu realitätsnah scheint, der werfe eher einen Blick auf ihre neueste Serie der «Self-Hybridations» - die weisshäutige Orlan als zentralafrikanisches Idol oder als blonde altägyptische Priesterin.
http://www.mep-fr.org/orlan/


Do it yourself
Wer mit all den Netzprojekten nicht so recht glücklich werden will und gleichzeitig daran leidet, dass sich der eigene Beruf mit der höchsteigenen Berufung partout nicht in Übereinstimmung bringen lässt, der wende sich vertrauensvoll an Cornelia Sollfrank, ausgewiesene Spezialistin für weibliche Extension: Im Rahmen ihres jüngsten Projektes bietet sie einen «net.art generator» an, mit dessen Hilfe eine jede selbst zur Netzkünstlerin werden kann – ein Knopfdruck genügt und das schöpferische Genie ist freigesetzt (gilt auch für Männer).
http://ryan.banff.org/cgi-bin/search/search.pl/


Samuel Herzog