18.7.00


Eigentlich ist es doch jammerschade: Da denken wir uns - obwohl wir in den
Ferien sind - in mühevoller Kleinarbeit kostbare Wortfolgen aus, um unsere
zu Hause gebliebenen Zeitgenossen etwas aufmuntern, sie an unserem
Sommerglück atmosphärisch ein wenig teilhaben zu lassen. Und dann landen
diese Postkarten, im besten Fall, auf irgendwelchen speckigen
Küchenschränken, vergilben, mit der Bildseite nach aussen natürlich. Manch
poetische Trüffel hat auf diese traurige Weise schon ihren Duft ungenossen
verhaucht. Damit aber ist nun Schluss. Künftig soll nicht mehr verdarben,
was der dichterische Genius in den feinsten Momenten der Vita ersonnen hat:
Hiermit geben wir die Gründung eines Museums für Postkartentexte bekannt, -
und da wir ja bekanntlich im elektronischen Zeitalter leben, ist dieses
Museum natürlich ganz und gar virtuell. Feierlich eröffnet wird es Ende
August auf der Seite von xcult (www.xcult.org). Wenn Sie liebe Leserinnen
oder Leser also nun plötzlich dieses poetische Drängen in sich detektieren,
dann schreiben sie nicht an Tante Auguri und auch nicht an Onkel Maigret,
schreiben sie uns an sh@xcult.org oder rstorz@xcult.ch. Natürlich können Sie
ihren Text auch per Post an die BaZ schicken (BaZ-Feuilleton - Netzkunst -
Postfach - CH-4002 Basel) oder ein SMS senden an +41-(0)79-676 07 25). Was
Qualität hat, wird in unserem Museum einen Ehrenplatz bekommen. Natürlich
sollten die Texte nicht länger sein als ein Postkartentext eben ist, mit
einem bildhaften Titel versehen sein und selbstverständlich sollte Ihr Name
nicht fehlen. Damit Sie abschätzen können, was wir unter "museumswürdig"
verstehen, nachfolgend ein paar Beispiele.

Die Tiegertangas von Nizza
Gestern sind wir ans Meer gekommen, in die Stadt der weissen Cabrios. Die
Gesichter, die hier durch die Strassen schweben, sind geheimnisvoll
verjüngt. In den kleinen Buden am Strand werden deshalb auch weder
Bastschlappen noch aufblasbare Gummitiere verkauft, sondern
Zellerneuerungspasten und kleine Skalpelle für den notfälligen
Selbsteingriff. Wir werfen einen Blick auf das Heer schwelender Tigertangas,
trinken zwei Tassen Kaffee und fahren weiter.
Alexandra Stäheli - 15. Juli 2000

Am Strand von Coney Island
Albert sitzt neben mir im Strandkorb und kaempft mit seinem Gewicht
(Junk Food!). Ueber den Rand der Sonnenbrille hinweg studiert er die
aktuelle Bikinimode und denkt, ich bemerke es nicht. Im Wasser war er
noch nie. Aber ich. Ich tauche unter bis zur Nase und betrachte von fern
die Skyline von Downtown Manhattan.
Reinhard Storz - 15. Juli 2000

Blau am Genfersee
Altes Hotel, Zimmer mit Blümchentapete, Balkon über der Kräuselhaut des
Genfersees. Mein Mund saugt an ihren Zehen, die nach Prosciuto di Parma
riechen weil ihre Füsse in einem Teller mit Schinken stehen. Sie riechen
noch, wenn sie nachher zum Rhythmus der Wellen über mir wird.
Res Pfierter - 18. Juni 2000

Cecina Mare
Ich schreibe dir, um dich nicht zu langweilen, nur eine ganz kurze
Mitteilung. Herzlich.
Samuel Herzog - 11. Juli 2000

Am Horizont Tel Aviv
Das Kind, das den traurigen Blick seiner Mutter abbekommen hat, lässt Sand
durch die Mittagshitze schneien. Die Körner knirschen leise in meinem
Bauchnabel wenn ich mich bewege. Ein Schiff gleitet über den Horizont,
lautlos wie von einer Schnur gezogen. Ich hülle mich in die rauhen Laute
einer undurchdringlichen Sprache.
Jo Eli - 1. Juli 2000

Istanbul Kadiköy
Eben bin ich mit einer rostigen Fähre von Taksim nach Kadiköy gefahren, von
Europa also in den Orient gelangt, begleitet von Medusenschwärmen und
Sesamkringelverkäufern. In dieser Megalopolis findet man sich oft ganz
plötzlich ausserhalb von jedem Tourismus wieder. Man verliert seinen
Reka-Scheck-Status und wird zum Fremden unter Fremden. Nun sitze ich also
hier im Orient, in eine Tea-Room allerdings, der auch in Köln oder Bremen
sein könnte und das Vertrauen sämtlicher Quarktortenadeptinnen hätte.
Samuel Herzog - 26. April 2000

Gstaad, die Bergpracht
Die Luft ist lau, der Himmel blau, überall wird Tennis oder Golf gespielt.
Und ich habe Durchfall, was auch mir ein wenig körperliche Aktivität
beschert.
Big Benny - 30. Juni 2000

Altstadt von Luxembourg
Henry Miller hatte leider recht. Hier ist wirklich alles aus Sahne und
Butter. Selbst aus der Hoteldousche ist kein Wasser zu bekommen.
Tania Reinhardt - 12. Juni 2000.

Havanna mi amor
Zufrieden klopfte ich die aschebröcklige Spitze meiner Havanna auf den
Boden. Das zerstossene Eis des Mojito knisterte im Glas und wehte einen
kalt an, wenn man zum trinken seine Nasenspitze dem Glasrand näherte. Ein
warmer Lufthauch fegte die Aschekrümel weg. Weg auf die Uferstrasse, auf
der die bunt angemalten ausrangierten Cadillacs rauschten. Wie das Meer
dahinter. Ich wippte den Schaukelstuhl sachte nach hinten. Havanna, mi amor.
Christoph Heim, Juli 2000