25.4.00


Vielleicht waren Sie ja über Ostern im nahen Frankreich und träumen noch ein wenig vom satten Grün des Burgunds. Vielleicht haben Sie noch den Geschmack von Brombeere, Kaffee, Russ und Honig Ihrer letzten Degustation in Vosne-Romanée auf den Lippen oder den Schmelz der delikaten Käseplatte, die Sie in Dijon genossen haben. Doch die schönen Tage sind vorbei. Nun können Sie sich zwar dadurch trösten, dass Sie die Nase virtuell ins Glase senken (http://www. bourgogne-auj.com) oder nachschlagen, was der schnippische Kellner wohl mit «Pâtes molles a croûte fleurie» gemeint hat (http://www.kaese-aus-fran kreich.de). Doch Frankreich hat auf dem Netz wesentlich mehr zu bieten, namentlich im Bereich der Kunst. Und auch wenn sich eine AOC im WWW nicht eben aufdrängt, seien hier ein paar Delikatessen französischer Provenienz herausgepickt.

In des Ritters Rüstung
Wahrscheinlich ist sie eine der charmantesten Netzzeitschriften überhaupt: Im letzten Jahr von Bruno Samper, Catherine Muheim und Patrick Perry gegründet, bietet «Panoplie» auf dem ganzen Schirm eine absolut traumhafte Bildwelt an. Nach Ausgaben zu Themen wie «Le Bonheur», «La bestialité» oder «Les voisins» ist in der Ausgabe von diesem April nun «Le silence» an der Reihe: Durch langsam überblendete Schneelandschaften gelangen wir zu den verschiedensten künstlerischen Kommentaren zum Thema – Gilles Grand etwa lässt in seinem Projekt «ondes» in aller Stille Wasserringe auf unserem Bildschirm sich ausbreiten. Alles ist sowohl in ästhetischer als auch in technischer Hinsicht äusserst sorgfältig gemacht und die Logik der Seite erschliesst sich schnell. Wahrlich ein Grand Cru im weltweiten Datenmeer.
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Site: http://www.panoplie.org


Durch die Wörterblume
Die Pariser Fondation Cartier bietet nicht nur die wohl attraktivste Museumsseite Frankreichs an, sondern ist auch die einzige französische Institution, die (wie das Dia Center in New York oder das ZKM in Karlsruhe) Netzprojekte sammelt. In seiner virtuellen Galerie finden sich derzeit Arbeiten von Jan Koop, Valéry Grancher, Titouan Lamazou oder das schon recht berühmte «Verbarium» aus der Küche von Laurent Mignonneau und Christa Sommerer: Hier kann man zum Beispiel Liebesbotschaften eingeben, senden und nach kurzer Zeit schon erscheint auf dem Schirm eine vegetabile Form, eine Umsetzung der Worte und Satzzeichen, die man eingegeben hat – leichter liess sich nie etwas durch die Blume sagen. she

http://www.fondation.cartier.fr/fra/galerie


Aus dem All Gefahr
Auch wenn sich die Kids von heute wohl vor Lachen schütteln würden, «Space Invaders» war für eine etwas ältere Generation das Videospiel schlechthin. Für 100 Lire konnte man sich vor rund fünfzehn Jahren noch in fast jeder italienischen Bar vor dem Spielautomaten krümmen und mit schweissnassen Händen den abgewetzten Joystick gegen die herannahende Gefahr aus dem Weltall führen. Nun haben Jon Thomson und Alison Craighead mit «Triggerhappy» die «Space Invaders» für unser erwachsenes Gewissen aufbereitet. Das neue Spiel selbst stammt zwar nicht aus Frankreich, dafür aber kommt die Gefahr aus dem All hier in der Form von Textpassagen aus Werken etwa von Gilles Deleuze oder Félix Guattari daher und wir sind angehalten, einzelne Worte aus dem komplizierten Gefüge herauszuschiessen – ein vergnüglicher Budenspass, der sogar durch die Zensur der Mönche aus postmodernen Diskursklostern gehen sollte, denn die Abschüsse provozieren eindeutig eine massive «évolution du sens». she
http://www.triggerhappy.org


Über allem das Netz
Das französische Kunstmagazin «artpress» hat im November vergangenen Jahres eine Sondernummer zur Netzproblematik herausgegeben. Unter dem Titel «Internet all over» geht das Heft in zahlreichen theoretischen Texten auf philosophische und ökonomische Fragen im Zusammenhang mit Kultur und Internet ein. Besonders interessant ist ein Aufsatz von Annick Bureaud, der Möglichkeiten und Grenzen der Netzkunst untersucht. she
artpress. Internet all over. hors serie. November 1999. FF 50.-.