26.9.00


Hätte Leonardo da Vinci die Möglichkeit gehabt, nicht nur mit Kohle, Feder
und Öl, sondern auch mit dem Netz zu arbeiten - wie hätte seine Netzkunst
wohl ausgesehen? Und wie hätten sich ein Tristan Tzara oder ein Pablo
Picasso, ein Max Ernst oder auch ein Andy Warhol im WWW präsentiert.
Wirklich schade, dass man im Künstlerhimmel nur offline arbeiten darf. Bis
sich das ändert, sind wir auf unsere Zeitgenossen angewiesen - was manchmal
ziemlich ermüdend ist. Die meisten Künstlerinnen und Künstler begnügen sich
nämlich damit, eine Online-Version ihrer gedruckten oder auch noch nicht
gedruckten Kataloge ins Netz zu speisen: Listen zu Biographie und
Ausstellungsaktivität, ein paar Texte und Abbildungen von Arbeiten, die -
oft mit viel zu vielen Kilobites befrachtet - in gummiger Langsamkeit auf
dem Schirm erscheinen. An Beispielen, die einem die Verzweiflung in die
Stirnfalten treiben, mangelt es nicht (die Schweizer Kunstseite
www.swissart.ch bietet auch diesbezüglich einen grosszügigen Überblick). Es
gibt allerdings auch Ausnahmen: Künstlerauftritte im Netz, die eine Art
Mischform zwischen Netzprojekt und Präsentation der eigenen Arbeit
versuchen. Oft sehr aufwendig gemacht, bilden solche Projekte fast schon
eine eigene Form von Netzkunst aus. Und da diese Sites oft Gelegenheit
bieten, nicht nur das Werk sondern auch die Arbeits- und Denkweisen eines
Künstlers oder einer Künstlerin auf eine neue Art kennenzulernen,
seien hier ein paar schöne Beispiele kurz vorgestellt.


Claudia di Gallo
Entscheidend für ein gute Künstler-Homepage ist das Interface: Wie navigiert
der Besucher durch das Angebot, wie findet er sich zurecht, und wie kann
doch der Eindruck eines bloss katalogmässigen Abrufens unterlaufen werden.
Denn solche Online-Dokumentationen können die Struktur einer Hyper-Erzählung
bekommen, sie erzählen von der Arbeit eines Künstlers. Ein gutes Beispiel
dafür ist die Site von Claudia di Gallo. In naher Zusammenarbeit mit dem
Webdesigner Casan Mantel (Whomp.ch) entwickelt sie eine Bild-Reise durch
ihre Arbeit, welche durch die drei Ebenen «infernion», «biosphere» und
«galaksy» führt. Der Katalogcharakter tritt hier zugunsten einer poetischen
Hypertextstruktur zurück. So verliert man zwar etwas die Orientierung, lässt
sich aber gern durch di Gallos persönliche «Kunstgeschichte» führen.
rest
http://www.digallo.ch


Alexander Hahn
Die Site des Zürcher Künstlers Alexander Hahn setzt auf ein klar
durchschaubares Interface. Unter dem Titel «Electric Media» zeigt er eine
reiche Auswahl von bildschirmfüllenden Text-Bild-Montagen, welche seine
Arbeit dokumentieren und zugleich neue Bild- und Texträume entstehen lassen.
Am besten betrachtet man sie mit ganz geöffnetem Browserfenster. Denn in
Hahns Site erkennt man die grosse Erfahrung des Künstlers mit
Monitor-Bildern und ihrer Lichtästhetik. Unter «stage works: Popular
admiration of great thieves» oder unter «video: viewers of optics» öffnen
sich zum Beispiel Bildmontagen mit eingepassten kleinen Quicktime-Filmen,
welche den Bildschirm, auf dem wir die Seiten betrachten, zum Bestandteil
einer Hahn'schen Bildkomposition werden lassen. rest
http://www.alexanderhahn.com


Pippilotti Rist
Ganz rosa kommt die Seite daher, die Pippilotti Rist im Zusammenhang mit
ihrer Arbeit für den Times Square in New York aufs Netz gebracht hat.
Ausgehend von einer Zeichnung dieser Strasse können wir uns zu den
verschiedensten Verbündeten oder Sympathisanten der Künstlerin weiterlinken
oder auch durch ein Bildfeld mit rotierendem Rahmen auf eine nasskalte
Strasse treten. Hier bietet uns Rist verschiedene Bildersets an - zum
Quartett arrangierte Fotografien von Blumen, Freunden und natürlich der
Künstlerin selbst. «Berührt» man die Bilder mit dem Maussymbol, so fangen
sie an zu tanzen. she
http://www.squaretimes.net
Pippilotti Rists eher konventionelle Homepage:
http://www.eyekon.ch/pipilotti/