27.3.01


In der Medizin sind bei Operationen immer öfter Chirurgie-Roboter für die Cut-, Paste- und Näharbeit zuständig. Sie werden an fernen Monitoren von Spezialisten mit illusionistischem Raumverständnis bedient. Bisher ist nicht bekannt, ob schon einmal eine ferngesteuerte Herzoperation gehackt wurde, wir an unserer Schnittstelle zum Netz sollten uns aber besser mit teleoperativen Sandkastenspielen und mit interaktiver Kunst auf den Fall der Fälle vorbereiten. Da kann man zwar auch vieles falsch, aber nichts wirklich kaputt machen.
Doch das Versprechen, das im Titel "User" für uns Internetanwender steckt, möchten wir gern wahrnehmen. Wir wollen im Web manchmal mehr tun als bloss lesen, hören und betrachten - wir wollen unsere Telepräsenz markieren, etwas bauen oder gar Leben schaffen und erhalten.

Abstraktes Fingerspitzengefühl
An der Universität von Westaustralien in Pearth kann man übers Netz mit Hilfe eines ABB-Industrieroboters im realen Raum Klötzchen versetzen. Man gibt x-, y-, und z-Koordinaten ein, und wenn man über die nötigte Geduld verfügt, sieht man allmählich sein Würfel-Gebäude wachsen. Diese Bau-Operationen per Zahleneingabe sind schwierig und brauchen einiges an abstraktem Fingerspitzengefühl. Aber sie sind doch weniger sensibel als exogene Einmischungen am offenen Herzen..
http://telerobot.mech.uwa.edu.au/

Herz und Schmerz
Die New Yorker Kunst-Site turbulence.org bietet neu das Projekt "The Apartment" an. Für die Luxus-Variante braucht man ein 3D-Plugin, aber im Explorer funktioniert es bestens auch ohne. Für eine wachsende Stadt können wir neue Gebäude erstellen.
In Entsprechung zu Ciceros mnemotechnischem Gedächtnis-Palast tippt man Sätze ein, deren Syntax die Raumzahl und den Grundriss der Wohnung beeinflusst. Den Räumen werden ohne unser Zutun Funktionen zugeordnet: Kitchen, bathroom, living room, bed room, office, library usw. Unsere Englischen Worte werden nun nach einer "semantischen Analyse" diesen Räumen zugeordnet. Dass mein "Cortex" in der Küche landete, macht mich stutzig, aber der "shit" sitzt brav im Klo. Das "Herz" flottiert zwischen living room und bed room, was mich überzeugt, ebenso das "painfull" im Office und die "Augen" am Fenster.
http://www.turbulence.org/Works/apartment/index.html

Leben schaffen und erhalten
Mit dem gehörigen Kunsternst können wir übers Netz ein bisschen Gott spielen. Sobald man die Website "Live & Die" des Genfer Künstlers Hervé Graumann ansteuert, beginnt ein Menschlein in der Seite hin- und herzutrippeln. Darunter steht sein Name, zum Beipspiel Hélène H. Als Geburtszeit ist der Moment unsers Einklickens notiert, und dazu werden mit penetrantem Pochton die Sekunden und Minuten der Lebenszeit unserer Figur mitgezählt. Irgendwann fällt sie um und ist tot. Hélène H. schon nach 27 Sekunden, mein Joe S. überlebte aber immerhin 4 Minuten und 25 Sekunden. Und das dank mir, weil ich die Seite so lange geöffnet liess. Wie kann ich schliesslich sicher sein, ob Joe S. im Cyberspace überlebt, wenn ich mich von seiner Web-Seite wegklicke? Mein emotionales Engagement und meine Identifikationsbereitschaft waren erheblich, die Wartezeit, selbst für ein so schnelles Tödchen, allerdings auch.
http://www.ave.ch/echo/graumann/ld/liveanddie.html

Beklemmung
Vielleicht genügt es uns aber, "Viewser" zu heissen. Man will nur gucken und staunen, aber nicht Klötzchen, sondern etwas in RL (Real Life). Dafür gibt es Web Cams. Unser Vorschlag: Für einmal nicht Sex, zu dem immer bloss die anderen Stielaugen machen. Werfen wir zur Übung unseres Raumgefühls lieber ein Auge ins einzige mit Webcams ausgestattete Gefängnis der Welt. Sheriff Joe Apaio hat sie im Jail von Aricopa County, Arizona eingerichtet. Die Welt soll überprüfen können, dass bei ihm, entgegen der Vorwürfe von Amnesty International, keine Gefangenen geschlagen werden.
http://www.crime.com/info/jailcam_mcso/jailcam_camera1_mcso.html


Reinhard Storz