Birgit Kempker


Warum bleibt denn kein Bild stehn

Die Ampel steht auf Rot. Die Haustür ist rot. Wo die Haustür den Stein berührt, die zweite Stufe der Treppe, ist sie schneeweiss. Die Haustür besteht aus zwei roten Flügeln und Holz und schliesst oben falsch gotisch gewölbt und unten mit weissem dicken Pinselstrich japanisch geerdet pro Flügel, wie man sonst nur z.B. von gewissen Gedichten sagt, sie gründelten mit dem Kopf im Boden, wie auch die Enten, und endlich sind wir, per Entensterz, im Tierreich, und auch bei der Wollust, aber noch nicht bei den Vögeln, die hier viele und schwarz sind und vor dem Rot stehn und das Wasser der Enten ist Grün und nicht Grau, wie der Stein und die Füsse dieser gewissen Gedichte straucheln unter Wasser glitschig wie Algen, als stemmten sie sich nicht mit den Sohlen gegen den Himmel in ihrer biegsamen Unordentlichkeit, was sie aber tun und sich stemmen, ins Blau, weiss wie die Tür, die auf den Stein stösst mit Perlmutschimmer im Spalt und bestimmt.

Die Vögel hängen wie halbe Herzen am Haus. Das Haus ist doch keine Auster. Die Ampel hängt am Haus wie ein Fingerring ohne Finger. Auf dem Bürgersteig drei Mal die Breite der Tür lang und halb so breit wie der Steig ein Strich, nicht ganz schneeweiss, eher drei Felder als Strich, die Hälfte der Felder weiss, wie Schach, schwierig zu beschreiben, links vor dem Haus, wer mit dem Gesicht vor der Tür steht, auf Höhe der Schulter lotrecht runter auf den Stein: hier beginnt das Weiss, vielleicht bemalt oder anderer Einfall des Lichts, grauweiss vielleicht mit Schrittspur, nur geht hier kein Mensch ausser als Spiel. Genauigkeit ist Sache der Verwirrung.

Das Licht fällt ein. Es öffnet und schliesst das Haus, besonders an den Fenstern. Die geschlossenen Stellen sind milchig, opak, dicht oder Grau, wie Spiegel und Wand, die geöffneten schwarz wie die Vögel, ein bisschen wie Samt, wenn Samt nicht wie Blut wär, wenn ÷ffnung von Schliessung, wenn Innen von Aussen zu unterscheiden wär und nicht in diesem Licht aus einer wie anderen Welt.

Das Licht wär Wasser, wenn es nicht Licht wär. Die Vögel sind Geister. Schwüre schmücken das Haus, besonders die schwarzen. Ornamente sind Versprechen zusammenzubleiben, auch wenn es ein Haus ist. Zäune und Gitter sind sehr zärtliche Umarumgszeichen und Reste von Rittern. Der Rhythmus der vielen verschieden dichten Stellen ist Trost. Die Linien der Simse auch. Weiss und tender liegen die Handschuhe wie die Leiber am Boden und auf Kissen. Zwar ist hier nichts Streicheln, doch ist es die Welt der Töne und Streicheln spielt keine Rolle darin und wenn, dann ist dies, bevor dies hier ist.

Der Stein des Hauses ist nicht grau wie die Treppe oder der Steig, er ist als läge er unter dem Schimmer der Tür und wär Rosa, tüllig, fast fleischig, wenn es kein Haus wär, dann wär es die Haut eines vornehmen Menschen und vor seiner Haut viele Vögel. Die vielen Vögel vor der Haut eines Menschen sind seine Chance. Sein Wunder. Nägel. Stellvertreter für Wunden. Wanderstellen. Nelken gegen Zahnschmerz. Pfähle gegen Vampir und Angeln für die Tür. Tür ist für Transport. Transformation ist purer Transport ohne Tür.

Rot ist das Grablicht. Rot ist das Licht im Freudenhaus. Rot ist es im Bauch der Mutter. Damit es Blinde sehen, sitzen die Vögel auf den Simsen als Noten, damit es Taube hören, dass hier Musik ist. Dass Häuser Musik sind. Dass Stockwerk für Stockwerk Musik ist, wenn es ein Haus ist, Fenster für Fenster und Vögel pur.

Das Rot lehrt, es umzudrehen und durch es hindurchzugehen. Wenn wir etwas sehen, wie z.B. Rot, verlangen wir Orientierung, wie z.B. diesen Satz. Wir drehen den Hals in Richtung des Satzes und verfolgen ihn mit unserem Haus, was unser Körper ist. Wie aber verfolgen wir so viele schwarze Vögel auf einmal, ohne dabei flöten zu gehen. Aber diese Vögel sind nicht sichtbar, sagen wir, denn das ist Orientierung, sie sind unsichtbar. Es sind imaginäre Vögel. Sie sind viel zu ordentlich aufgereiht um Vögel zu sein. Sie sind viel zu viele. Sie sind ja viel zu musikalisch angeordnet. Sie machen viel zu schöne Musik. Jubel mir hier keine Vögel hin. Dies ist ja das reinste Notenhaus, sagen wir. Wir wiederholen uns. Wir freuen uns wenn wir uns kennen.

Und also stehn wir am Fleck, rühren uns nicht wies Kaninchen: bloss ein Traumhaus, ein inneres Bild, sagen wir, aus einem anderen Inneren als
uns und wir plustern uns auf und kleben selbst reglos an was, zu was wir nicht Haus sagen würden und nicht Vogel zu uns, doch das Ich steckt im Hals und will raus.

Verstecken sich hier die Undinen, die nicht zu Schaum werden wollten und auch nicht ins Herz des Liebsten stechen auf dem Schiff? Was ist das für ein Ozean. Was ist am Sterben so schwer. Besprechen sich hier: Ariels mit Vögeln? Warum bleibt denn kein Bild stehn?

Text erschienen in:
Marion Strunk: Wolle 2/embroidered images. Foto+Faden
memorycage Editions, Zürich 99
www.memorycage.com