Barbara Basting

Phönix aus der Asche


Neue Formen des Verlegens im Internet

Während im deutschsprachigen Feuilleton die Schreckensnachrichten aus Verlagshäusern wie Rowohlt und S.Fischer die Gemüter zur Wallung bringen, geht ausgerechnet in Amerika, dessen Verlagslandschaft schon erodiert ist, Jason Epstein, ein intimer Branchenkenner, einen Schritt weiter: Er lamentiert nicht mehr über den Verfall der Kultur des Verlegens, zu der Spürsinn, Leidenschaft, Fingerspitzengefühl, Liebe zu Literatur und Wissenschaft, Sorge um die Autoren zählten und nicht die vulgären Erfolgsmasstäbe der New Economy. Im Gegenteil, er entwickelt ein fast visionäres Szenario, das allerdings den klassischen Verlagen das Totenglöcklein läutet.
Jason Epstein kam 1958 als Lektor zum angesehenen Literatur- und Sachbuchverlag Random House/Alfred Knopf, dessen Einverleibung durch den Medienkonzern Bertelsmann vor fast 2 Jahren die Branche aufheulen liess. Als gesetzter Vertreter der Ostküsten-Intelligenzija steht er kaum im Verdacht, unbesonnen auf den Technologie-Hochgeschwindigkeitszug aufzuspringen. Umso überraschender, dass ausgerechnet er in einer der jüngsten Ausgaben der "New York Review of Books" (27. April 2000) für neue Formen des Verlegens im Internet plädiert. Seine umfangreiche, illusionslose Analyse der Situation und seine Prognosen könnten auch der hiesigen Debatte einen anderen Dreh geben.
Das Verlegen von Büchern sei schon immer, so Epstein, eine "cottage industry", Kleingewerbe gewesen. "Am besten wird es von kleinen Gruppen Gleichgesinnter geleistet, die der Sache mit Haut und Haaren verfallen sind, denen ihre Autonomie wichtig ist, die ein Sensorium für Autoren und für ganz unterschiedliche Leser haben. Wäre Geld ihr Hauptziel, hätten sie höchstwahrscheinlich eine andere Laufbahn eingeschlagen." Seit der Moderne, seit Anfang der zwanziger Jahre seien so Verlage entstanden, die sich parallel zur blühenden Literatur des Jahrhunderts entwickelt hätten - in Amerika wie in Europa. Diese Phase neige sich seit längerem ihrem Ende entgegen.
Doch während er vor zwanzig Jahren jungen Leuten geraten habe, die immer stärker kommerzialisierte, immer unpersönlichere, von Agenten beherrschte Verlagslandschaft zu meiden, würde er ihnen heute wieder das Gegenteil empfehlen. "Der bevorstehende Wandel lässt kulturelle Folgen erwarten, die nur in Umrissen erahnt werden können. Sie versprechen aber ein lebenslanges schöpferisches Abenteuer, das - wenn auch in ganz anderer Weise - ebenso spannend sein wird wie jenes der Verlegergeneration von Horace Liveright, Alfred Knopf und Benett Cerf vor achtzig Jahren, als Joyce, Hemingway, Eliot und ihresgleichen aus dem Schlamm des Weltkriegs und aus der schrecklichen Unschuld, die ihn hervorgebracht hatte, auftauchten."
Seit Jahren kauften grosse Medienkonzerne prestigeträchtige, traditionelle Verlage auf, nur um festzustellen, dass das Verlegen in einem übersättigten Markt magere Margen bringt. Das Prinzip der Quersubventionierung unrentabler Bücher durch Bestseller funktioniere nicht mehr, seitdem üppige Vorschüsse für Erfolgstitel üblich seien - und Bestsellerautoren selber im Netz publizierten, um den Obolus an den Verleger zu vermeiden. Stephen King hat das jüngst mit seiner Story "Riding the Bullet" für 2,50 Dollar, die er 400.000 mal verkaufte, erfolgreich vorgemacht.
Daher liege die Hoffnung für eine nicht nur am Massengeschmack orientierte Literatur, aber auch für all jene Sachbücher, die "nur" zehntausend statt hunderttausend Leser fänden, in neuen, noch kaum entwickelten Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten im Internet. Die Entwicklung von Software, wie etwa "Glassbook", die Texte in gestalteten Buchseiten auf dem Bildschirm erscheinen lässt, die aber auch das Copyrightproblem im Internet lösen, indem sie das Herabladen von Texten gebührenpflichtig machen, ist nur eine Voraussetzung. Auch Geräte für das Ausdrucken und Binden ästhetisch ansprechender "books on demand", Büchern auf Anfrage, werden derzeit in Amerika entwickelt und bei Buchhandelsketten wie Barnes and Noble schon aufgestellt. Was den Vertrieb angehe, würden sich mit der Zeit spezialisierte, persönliche, lokale Web-Buchhandlungen entwickeln, die anders als die jetzigen Grosshändler wieder echte Treffpunkte würden - nicht nur auf verfeinerten, attraktiven Webpages, sondern in wirklichen Läden.
Die technologische Neuerungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, resümiert der Autor, dass die Kernkompetenzen des Buchverlegens - die Auswahl geeigneter Manuskripte, die Begleitung des Autors durch einen Lektor - durch Technologie weder ersetzt noch vereinfacht werden können. Die Fähigkeit zur Selektion und zur Kritik werde nicht einfach durch die Präsenz eines neuen Mediums verschwinden. Im Gegenteil, gerade die Fülle und Unüberschaubarkeit des Web fordere neue Strategien zu ihrer Bewältigung heraus. Genau darin liege die Chance. "Ich vermute, dass zukünftige Verlage klein sein werden, allenfalls von einer zentralen Geldquelle abhängen." Die Zeit sei reif dafür, dass das Verlegen von Büchern wieder eine "cottage industry" werde, schliesst Epstein seine substantielle Analyse.