Barbara Basting

Avantgardistisch bis zur Selbstauflösung

"Mediamatic", die niederländische Medienzeitschrift, setzt voll aufs Netz

Im vergangenen Herbst erhielten die Abonnenten von "Mediamatic", der ambitionierten niederländischen Zeitschrift für Medienkultur, die laut eigener Definition den "kulturellen Auswirkungen der neuen Medien" nachforscht, einen Rundbrief. Fortan, so hiess es darin, werde "Mediamatic" nur noch im Netz erscheinen. Schon bisher wurde die zweisprachige Printausgabe auch auf Niederländisch und Englisch im Netz publiziert.
Seit einigen Jahren, so die Redaktion, zogen die Webseiten mehr Leser an als die Printausgaben. Das Abonnement, zu dem Künstler-CD-Roms gehören, wird in Zukunft nur noch aus diesen CD-Roms und DVDs bestehen, auf denen zusätzlich eine Archivkopie der jeweils aktuellen Ausgabe von "Mediamatic" abgelegt sein wird.
"The Printed issue" heisst die letzte gedruckte Ausgabe leise melancholisch. Die Redaktion des Magazins, das seit einigen Jahren der gleichnamigen Stiftung gehört und vom niederländischen Kulturministerium mitfinanziert wird, hält ihren Entscheid für konsequent: "Wir gründeten unsere Zeitschrift 1985, weil wir eine internationale Plattform für den Ideen- und Informationsaustausch über Medienkunst brauchten. Damals war eine gedruckte Zeitschrift die beste Form. Denn wir verstanden die Zeitschrift nicht nur als Vehikel für unsere Ideen, sondern als eigenständiges Medium." Heute erscheine es passender, die digitalen Medien zu nutzen und alle Energien, auch die ökonomischen, auf diese zu konzentrieren. Bisher seien rund 80% der Produktionskosten für Papier, Druck, Transport, Vertrieb aufgewendet worden.
Bei "Mediamatic" erscheint der Schritt in die Virtualität auf den ersten Blick nicht sehr einschneidend, da die Zeitschrift trotz ihres in den letzten Jahren zunehmend kapriziösen Auftritts - bis hin zu Seiten, die der Leser selber aufschneiden musste - und trotz übermütiger grafischer Experimente von Anfang an textlastig war. Augenfutter steuerten in den ersten Jahren Künstlers-Inserts bei. Seit dem 7. Jahrgang (1992/93) waren vor allem die Künstler-CD-Roms eine zusätzliche Attraktion. Jene über die "Doors-of-Perception"-Konferenz über interaktive Medien in Amsterdam 1994 - erhielt sogar eine Auszeichnung (Heft 8#1; nur Mac) und gilt ebenso wie die des Künstlerduos JODI (Heft 9#2/3; Mac/Win) als Sammlerstück.
Symptomatisch ist der Medienwechsel dennoch. Er zeigt, dass Publikationen, die sich an ein hoch spezialisiertes Publikum richten, fast dazu verdammt sind, den Trends der angesprochenen "Community" zu folgen - in diesem Falle den künstlerisch interessierten 'Netizens', die sich Informationen lieber gratis vom Netz laden als eine teure Zeitschrift kaufen. Bei einer engagierten Zeitschrift wie "Mediamatic", die seit Jahren einen spannenden und differenzierten Diskurs über Wohl und Wehe der Mediengesellschaft führt, kommt dieser Schritt fast einer Kapitulation gleich. Denn als E-zine ist das Magazin nun zwar wieder einmal seiner Zeit voraus. Aber es riskiert, sich dadurch noch stärker in eine selbstreferentielle Insider-Nische zu manövrieren.
Blättert und liest man in den gedruckt vorliegenden zehn Jahrgängen - die kleine Redaktion unter Leitung von Willem Velthoven hat den Publikationsrhythmus von vier Heften pro Jahr nicht immer einhalten können -, fällt zweierlei auf: die immer versnobtere Erscheinung und der forciert avantgardistische Anspruch, den "Mediamatic", zu einem erstaunlichen Teil hat einlösen können. Zuverlässig bildet "Mediamatic" alle Trends, Theorien, Tendenzen und Enttäuschungen ab, die mit den diversen neuen Medien in den letzten fünfzehn Jahren verbunden waren.
So waren die ersten Hefte im billigen Schwarz-Weiss-Offsetdruck mit Klammerheftung noch stark auf die Videokunst konzentriert, von der man Mitte der achtziger Jahre eine durchgreifende Revolutionierung der Massenmedien Fernsehen und Film erwartete. "The European Art/Media Magazine" hiess damals der Untertitel. Der Glaube an die Macht der Subversion bildete den roten Faden der redaktionellen Beiträge. Auch Versponnenes hat immer wieder Platz, etwa eine systematische Auflistung von Wasser-Videos. Der Zugriff ist international: Beiträge über Medienkids in Japan, ein Reisebericht über Kunst in Moskau 1988, Buchbesprechungen zu Medienthemen, bei denen kein prominenter Name fehlte. "Mediamatic" ist eine der raren Publikationen, die Künstler-CD-Roms eingehend besprechen. Im aktuellen Heft wird beispielsweise Chris Markers CD-Rom "Immemory One" (Centre Pompidou, 1998) vorgestellt.
Bald kam die erste Ernüchterung: "Video ist out. Nach einer kurzen, aber intensiven Entwicklungsphase ist es vom Computer verdrängt worden", hiess es fast visionär schon 1987. Übersetzt man die Polemiken, in denen Chefredakteur Willem Velthoven regelmässig mit so scharfsinnigen wie apodiktischen Diagnosen zur medialen Situation der Zeit aufwartet, in eine gemässigtere Tonlage, meint das in diesem Falle nur: Video ist kein revolutionäres Medium mehr. Es ist durch Ausstellungen, Publikationen und Museumsankäufe in den Mainstream-Kulturbetrieb integriert, institutionalisiert und damit entschärft.
Kaum überraschend, dass "Mediamatic" sich mit substantiellen Beiträgen in die Museumsdebatte der neunziger Jahre einmischte, etwa im Heft 6#2/3. Das Museum als als Beglaubigungsinstanz für Bildwerte erscheint in diesen Diskussionen als die geheime Obsession der Medienkunst. Sie rennt gegen diesen Friedhof der Bilder an - und weiss doch insgeheim, dass sie ihm nicht entrinnt.
Genau diese Ambivalenz prägte auch die Guerilla-Pamphlete von "Adilkno/Bilwet", der "Foundation for the Advancement of Illegal Knowledge", die ab 1988 bis zur Auflösung von Bilwet in prominenter Aufmachung in "Mediamatic" erschienen. Sie zeichnen eine Fieberkurve der Auflehnung gegen die zunehmende Uniformisierung und Instrumentalisierung der Medien durch die grossen Konzerne. "Bilwet" war eng mit den ersten, von hochgespannten Erwartungen getragenen urbanenen Webprojekten in den Niederlanden liiert, die mittlerweile viel von ihrem Glanz eingebüsst haben oder nicht mehr existieren.
"The Printed Issue" setzt die kritische, aber auch elitäre Tradition von Medimatic fort; es werden alternative Browservarianten zum Microsoft-Netscape-Einerlei diskutiert. Das ist, durchaus typisch für diese Zeitschrift, keine Lektüre für Minuten. Aber nach getaner Arbeit hat man wenigstens das Gefühl, gründlich aufdatiert zu sein.

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