Barbara Basting

Stadtrallye für Cybernauten

Die Gruppenausstellung <Version_2000> macht Genf zum Spielfeld für eine vernetztes Kunstprojekt



Adoleszenzbegleiter vom Erdkundelehrer bis zur Jugendgruppenleiterin haben die Stadtrallye erfunden, um ihre Zöglinge spielerisch mit ihrer Umwelt vertraut zu machen. Innovative Kuratoren wie Simon Lamunière finden, die Zeit sei reif dafür, das erprobte Modell auf die Kunst zu übertragen. Lamunière bläst daher im Rahmen der Gruppenausstellung <Version>, die er alle zwei Jahre am Genfer Medienzentrum <Centre pour l'image contemporaine> (CIC) kuratiert, zur Kunst-Schnitzeljagd <Version_2000>.

Im CIC, dem Epizentrum der Schau, bekommt man einen Spiel-Stadtplan ausgehändigt. An neun von achtzehn Ausstellungsorten, zu denen neben Museen, Kunsträumen, Galerien, Bars und Schaufenstervitrinen auch das Internet gehört, lassen sich die Karten für ein Game sammeln, das Nathalie Novarina und Marcel Croubalian erdacht haben. Der Hauptgewinn ist sinnigerweise ein Computer. Die Aktion für Gamekids aller Altersklassen hat die Nebenwirkung, auch entlegeneren Kunstorten wie dem verdienstvollen unabhängigen Kunstraum <Attitudes> neue Besucher zuzuführen. Darüber hinaus hat der Netz- und Aktionskünstler <Invader> Genf mit Gameboy-Piktogrammen in Mosaikform übersät, deren Standorte auf einem weiteren Stadtplan zu finden sind. Fans können bei der Dekoaktion mitmachen.

Die Crux der an sich reizvollen Ausstellungskonzeption liegt darin, dass innerhalb eines spielerischen Parcours wiederum Werke gezeigt werden, die sich zwar mehr oder weniger explizit auf das Spielthema beziehen. Aber der Bezug ist nicht immer leicht nachvollziehbar. Vom Video einer Spiel-Performance mit Tierkostümen (Peter Friedl) über das Redesign des Ballerspiels <Quake> (Künstlergruppe re-load.org) bis zur Riesenpixel-Lichtinstallation (Angela Bulloch) oder zum Erdumrundung im Flugsimulator (Stefan Altenburger) reicht die Palette der Beispiele. Diese Offenheit ist zwar anregend und weicht vorschnellen Kategorisierungen aus, sie wirkt aber stellenweise auch etwas beliebig und unübersichtlich.

Sieht man über diese Schwäche hinweg, erweist sich Lamunières Wundertüten-Mix als qualitätvoll und eigenständig, gerade weil er die Augen öffnet für die verblüffende Artenvielfalt des Spielerischen. Da zur Auswahl nebst einigen internationalen Stars auch viele jüngere Kunstschaffende mit originellen Ansätzen gehören, lohnt sich die Fahrt nach Genf.

<Version_2000> zeigt anhand mehrerer Positionen, wie stark die virtuellen Welten der Software- und Gametüftler zur künstlerischen Aneignung und Auseinandersetzung reizen. Daneben wird aber auch deutlich, dass das Spielthema, das nebenbei auch ein Sportthema ist, derzeit keineswegs nur jene Künstler beschäftigt, die mit Computer und Video arbeiten oder sich direkt auf Gamewelten beziehen. So hat Fabrice Gygi mit ironischer Geste das siebenstöckige CIC in einen Vita-Parcours verwandelt.

Selbst altmodischere Spielstrukturen werden ausgeschlachtet, wie das fesselnde Video <Chicago Flipper> von Franck Scurti (<Attitudes>) zeigt: Eine Tour durch Chicago, bei der Kameraführung und Schnitt jenen nervösen Rhythmus simulieren, in die ein passionierter Flipperspieler geraten kann. Raffiniert ist auch Matthieu Briands Autorallye. Auf den Rennautos sind Minikameras installiert. Wer die Autos per Fernbedienung steuert, kann deren Fahrt entweder real oder medial auf einem Monitor verfolgen. Man muss sich für eine der beiden Perspektiven entscheiden. Der Clou dabei: Die mediale Video-Perspektive wirkt wegen der Monitor-Vergrösserung realer als der direkte Blick auf die Rennautos. Übrigens nicht die einzige Arbeit, die mit Versatzstücken aus der Rennwelt operiert.

Inmitten all der Experimente mit Pixelmännchen, der kunstsoziologischen Brettspiele, der digitalen Bilder, interaktiven Oberflächen und virtuellen Räume stechen die Videos von Uri Tzaig heraus. Zum Beispiel <Trance>: Auf einer hellen, undefinierbaren Unterlage liegen verschiedene Murmeln. Immer wieder schiebt sich von rechts oder links eine Hand ins Bild und plaziert die Kugeln um. Die Regeln bleiben unergründlich, die Grenzen zwischen der durchregulierten Fiktion des Spiels und den unberechenbaren Handlungsstrukturen des Alltags verschwimmen. Genau diese spannende Grauzone zwischen Spiel und Realität lotet auch die Kunst aus.

Bis 17. Dezember. Ausführliches Programm: www.centreimage.ch.