Barbara Basting

Widerhaken für Netzfischer



Von der Homepage des Netzkünstlers Vuk Cosic (www.vuk.org) führen zahlreiche Links zu seinen Arbeiten. Im Angebot sind auch kleine Broschüren über Netzkünstler. Die wissbegierige Surferin bestellt per Mausklick beim Verleger Keiko Suzuki. Bald füllt sich die Mailbox mit obskuren Mails, die neue Links enthalten - unter anderem zu einem angeblich im Archiv der "New York Times" abgelegten, dort aber unauffindbaren Artikel über Netart. Es folgt eine persönliche Warnung, diesmal von Ian Campbell aus Island: Achtung, übler Scherz von Vuk Cosic, die Broschüren gibt's gar nicht. Es hätte schlimmer kommen können: Das recht bekannte Künstlerduo JODI (www.jodi.org) - Joan Heemskerk und Dirk Paesmans - simuliert unter anderem Computerabstürze und heimtückische Viren.
Das sind zwei hervorragende Beispiele für Netzkunst. Sie bedient sich, wie JODI, der etablierten und vorgegebenen Strukturen des Netzes, der Hard- und Software, um sie auf raffinierte Weise zu dekonstruieren. Cosic stellt dagegen das Vertrauen in Frage, das man WWW-Informationen leichtfertig entgegenbringt, thematisiert aber auch das komplexe Problem der Urheberschaft im Netz: Wer sagt einem, dass Campbell und Suzuki keine Tarnnamen sind?
Wer sich bisher mit Netzkunst näher vertraut machen wollte, musste sich auf Surftouren in der gut verlinkten Szene einen Eindruck verschaffen. Zwar vermittelten Institutionen - das Internetcafé der Documenta X, die Ars Electronica in Linz, die soeben beendete Ausstellung "netcondition" am ZKM Karlsruhe - erste Überblicke, allerdings nicht in gedruckter Form. Mit dem Reader "netz.kunst" ändert sich das nun. Neben zahlreichen Adressen versammelt er eine Fülle informativer Beiträge, die wichtige Elemente der Gattung präsentieren. Das Kompendium führt ins Herz der aktuellen Diskussionen rund um die Netzkunst, einer neuen Form engagierter Kunst.
Zu ihren Kennzeichen gehört, dass sie nur im Netz richtig funktioniert, weil sie dessen Entwicklungen als technologisch geprägtes Kommunikationsmedium kritisch reflektiert. Netzkünstler sind fast immer Programmierprofis, manche gehören der Hackerszene an. Die Software-Codes zu knacken, zu stören und damit die Macht der Computermultis zu hinterfragen, ist eines ihrer Anliegen, das Tilman Baumgärtel am Beispiel der Veränderung von standardisierten Browsern erklärt. Das prominenteste Beispiel, der "Webstalker" der dreiköpfigen Künstlergruppe I/O/D, dekonstruiert die gängige Benutzeroberfläche von Netscape, deren Ästhetik wir ungefragt akzeptieren müssen (www.backspace.org/iod/). Zahlreiche vorgestellte Projekte operieren auch mit Erwartungshaltungen, die das kommerziell dominierte Netz aufbaut. "Unendlich,fast" von Holger Friese ( www.502.org/friese/ende.html) verwirrt User, weil die herkömmlichen Klick- und Scroll-Manöver in die Leere führen. Die Homepage www.ljudmila.org persifliert die Portale der Suchmaschinen. Auch Joachim Blank und Karl Heinz Jeron stellen den im Internet vorherrschenden "eindimensionalen und rein technischen" Informationsbegriff scharfsinnig in Frage (http://sero.org).Positionen jedoch, die weniger auf Störmanöver als auf neue Formen der Visualisierung aus sind, wie etwa David Blairs wegweisendes, im Web entstandenes und nun als CD erhältliches Filmprojekt "Waxweb" (waxweb@telepathic-movie.org), bleiben in dem Reader, der einer recht orthodoxen Linie verpflichtet ist, aussen vor. Kriterien der Abgrenzung zum kommerziellen Webdesign werden ebensowenig diskutiert wie der vielbemühte Begriff der Interaktivität, obwohl es hier einiges zu klären gäbe.
Thematisiert wird hingegen, wie schwer sich institutionelle und kommerzielle Vermittler mit Netzkunst tun. Wie auch sollen sie eine Kunstform, die sich (noch) gegen die Vermarktung sperrt und das Web als PR- und Marketingmaschinerie attackiert, adäquat präsentieren oder verkaufen? Etwa, indem man ein paar Online-Computer ins Museum stellt? Indem man auf einer Homepage Webkünstlern Serverkapazitäten für Projekte zur Verfügung stellt? Oder das Copyright erwirbt? Die Netzkünstler, als Computerprofis kaum am Geld, eher noch an den Weihen des Kunstbetriebs interessiert, geben sich spröd. Sie wittern einen Domestizierungsversuch. Ihre Guerillataktik funktioniert nur auf freier Wildbahn, zumal die meisten Kunstinstitutionen sich dem Web eher unbeholfen nähern, wie Hans Dieter Huber und Bernd Milla zeigen.
So einfallsreich, witzig, engagiert Netzkunst ist, sie hat ihre Grenzen. Denn sie ist in hohem Masse reaktiv und parasitär. Gerrit Gohlke zweifelt sogar daran, dass "das Netz auf etwas anderes als sich selbst verweisen könnte". Netzkunst ist elitär und intellektuell, setzt meist englische Sprachkenntnisse voraus und erhebt sich nicht ganz über den Verdacht, eine etwas esoterische Spielwiese zu sein, deren kritisches oder utopisches Potential schnell verpufft.
Das zeigt die Geschichte der "Medialabs", urbaner Vernetzungs-Projekte aus der Frühzeit des WorldWideWeb Mitte der Neunzigerjahre. Die Euphorie ist einem utopiebereinigten Pragmatismus gewichen, wie die Initianten solcher Experimentierstationen (etwa www.desk.nl) Geert Lovink, Joachim Blank, Karl Heinz Jeron heute ernüchtert eingestehen. Als Teil einer Geschichte der Netzkunst jedoch machen sie deren Stossrichtung überhaupt erst verständlich.
Dass es für die traditionelle Kunstwissenschaft höchste Zeit wird, den Netzkünstlern nachzueifern und sich mit den neuen Bildstrategien im Net auseinanderzusetzen, legt der Beitrag des Kunsthistorikers Gottfried Kerscher nahe. Im Internet dominiert ein Bildbegriff, der nicht mehr in herkömmlicher Weise auf Inhalte verweist. Die Bilder sind jetzt "Icons", die im Extremfall nur noch als Blickfang für Links dienen - ein Beispiel für den "Pictorial Turn" (W.J.T.Mitchell), dessen Tragweite kaum absehbar ist.
"Netz.Kunst" bietet einen brauchbaren Zugang für Neugierige und genügend Futter für Fortgeschrittene. Eine noch bessere Gliederung hätte den Band benutzerfreundlicher gemacht. Eher suspekt scheinen einige Beiträge für sektiererische Geheimbünde: Titel wie "SUPerFeminisme durch protokollinhärente Datavatars" oder "Feministische Aspekte der Experimentellen Spinnenkunde" sollten eigentlich Wissenschaftssatiren vorbehalten bleiben.



Institut für moderne Kunst Nürnberg, Jahrbuch '98/99, netz.kunst, Hg. von Manfred Rothenberger, Konzeption Verena Kuni, 262 Seiten, 25 DM,
www.moderne-kunst.org