Barbara Basting

Zensur und Copyright im Jahr 2000
- Was nach dem Ende des "geistigen Eigentums" kommt

Beitrag zur Copyright-Debatte im Netz/Barlow/Napster



Der entscheidende Kampf zwischen der Partei der Vergangenheit und der Partei der Zukunft wird über das Copyright ausgefochten werden. Diese These formulierte jüngst der amerikanische Medienexperte John Perry Barlow, der seit Jahren zu den originellsten Vordenkern des Cyberspace gehört (nachzulesen unter http://bbs.thing.net/communicator.thing). Als Mitbegründer der "Electronic Frontier Foundation" verteidigt er den freien Fluß der Ideen im Netz und engagiert sich für die Verbreitung des Internet in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika. Barlow ist als Berater für Unternehmen der New Economy begehrt und publiziert regelmässig in der Hauspostille der Cyberwelt, "Wired".
Seine "Unabhängigkeitserklärung für den Cyberspace", 1996 für das World Economic Forum in Davos verfaßt, war ein flammendes Pamphlet, das sich an die "Regierungen des industriellen Zeitalters" richtete. Diesen prophezeite er, daß ihre Zeit ablaufe. Mit pathetischer Rhetorik legte Barlow dar, daß die Eigendynamik des virtuellen Raums die bisherige Weltordnung in unabsehbarer Weise umkrempeln würde. "Wir" - damit meinte er die damals noch weniger zahlreichen Neusiedler des Cyberspace - "bilden unseren eigenen Gesellschaftsvertrag. Die neue Herrschaft wird sich entsprechend den Bedingungen unserer Welt, nicht gemäß der heute gültigen herausbilden. Unsere Welt ist anders."
Derlei mag mancher vor einigen Jahren noch als Spintisiererei oder Revoluzzertum abgetan haben. Aber heute erweist sich, daß Barlow wichtige Elemente für eine Grundlagendiskussion beigesteuert hat. Sein Artikel über "Die Ökonomie der Ideen", bereits 1994 in "Wired" veröffentlicht, gehört inzwischen zu den Basistexten an juristischen Fakultäten in den USA.
Schon damals, als Phänomene wie Napster noch in weiter Ferne waren, machte sich Barlow Gedanken über den Umgang mit digitalisiertem geistigem Eigentum. Er warnte, daß das Internet sämtliche existierende Konzepte von Eigentum, Wert, Besitz, ja sogar Reichtum tiefgreifender in Frage stellen werde als je ein Medium zuvor. Lange vor Jeremy Rifkin wies Barlow auf die wachsende Bedeutung einer sich formierenden neuen Ökonomie hin, in der Aufmerksamkeit und die Zugänglichkeit von Informationen zentral würden.
Wie zutreffend Barlows jüngste Copyright-These ist, belegte der Kampf der grossen Entertainmentkonzerne gegen Napster. Mit dem jüngsten Kauf von Napster durch Bertelsmann scheinen die Vertreter der "Old Media", also jener Konzerne, die ihre Macht der Distribution kreativer Erzeugnisse und den bestehenden Copyright-Regeln verdanken, zunächst den Sieg über die sogenannten "Netzpiraten" davongetragen zu haben. Sie versuchen, deren Distributionssysteme zu adoptieren und zu domestizieren.
Angesichts der Frage, wovon denn die Urheber letztlich leben sollen, wenn nicht von den Erträgen einer durch Copyright geschützten Distribution, erschien der Shareware-Gedanken zunächst als einigermaßen naiv, sofern man ihn nicht voreilig als illegal abtat. Die Verteidigung des sakrosankten Copyrights ist aber unter heutigen Bedingungen eine zweischneidige Angelegenheit, wie Barlow minutiös nachweist.
Indem er die Diskussion um Shareware, Open Source und Copyright von der reinen Frage um Besitzverhältnisse ablöst und sie in den größeren Kontext des urdemokratischen Anspruchs auf freie Meinungsäusserung einbettet, gibt er ihr einen entscheidenden Dreh. Pointiert gesagt, verhüllt die Copyright-Debatte, in der es wesentlich um den Gebrauch von Verschlüsselungs- und Dechiffriersoftware geht, die massive Ausweitung von Zensurmaßnahmen im Netz. Deswegen beginnt Barlow mit einer ausführlichen Darstellung und Analyse der Versuche zur Kontrolle des Internets von der Beschränkung des Zugangs zu Computern in Myanmar bis hin zu diversen neuen Gesetzen über Kodierungstechniken und Kryptologie in Amerika und Europa.
Diese dienten unter dem Vorwand des Schutzes der Bevölkerung vor Pornografie oder Rechtsextremismus letztlich vor allem dazu, neue, zumeist kommerzielle Informationsmonopole zu errichten, argwöhnt Barlow. Denn sogar Regierungen, die für Filter plädierten, seien den Herstellern der Filtersoftware machtlos ausgeliefert. Diese berufen sich selber nur zu gerne aufs Copyright, um ihre Software zu schützen. Daher weiß niemand genau, was ihre Filter außer dem Gewünschten noch aussortieren. Das verleiht ihnen erschreckende Macht sogar über jene politische Institutionen, die sie zur Hilfe gerufen haben.
"Für die längste Dauer der Menschheitsgeschichte war, neben der militärischen Stärke, die primäre Machterhaltungsmethode die Kontrolle von Information. Von den vielen Revolutionen, die das Internet zustande bringt, liegt die grundlegendste in seiner Langzeitwirkung, all die lokalen Magnetfelder, die die Mächtigen um sich herum geschaffen haben, zu entmagnetisieren." Das Copyright gehöre zu diesen Magnetzonen, in deren Zentrum die Besitzer einer "industrialisierten Informationsverteilung" säßsen.
"Von 1500 bis 1969 lieferten sie quasi die einzigen Medien, durch die Individuen sich einem Massenpublikum gegenüber artikulieren konnten." All diese Distributoren betrachteten heute das Internet als zersetzenden Faktor. Gleichzeitig werde zusehends klar, daß man beispielsweise nicht 37 Millionen Napster-User kriminalisieren könne. Barlow erinnert daran, daß Gesetze nur durchgesetzt werden können, wenn sie auf einem weitgehenden sozialen Konsens beruhten, auf einer mehrheitsfähigen Ethik. Also würden die traditionellen Distributoren fast sicher untergehen oder sich in Einheiten verwandeln, die diese neuen Kanäle fördern und sie als neues Wirtschaftsmodell erproben. Der Fall Bertelsmann-Napster scheint Barlows zweite Option nachträglich zu bestätigen.
Wer sich nun Sorgen macht, wovon denn die Schöpfer des sogenannten "geistigen Eigentums", das im übrigen eine juristische Erfindung neueren Datums ist, in Zukunft leben sollen, wird in Barlows jüngstem Text "The Next Economy of Ideas" in der Oktoberausgabe von "Wired" fündig. "Wird das Copyright die Napster-Bombe überleben?", fragt Barlow polemisch, um sie sogleich zu verneinen. Anders verhalte es sich mit der menschlichen Kreativität. In Zukunft würden die Interessen der Urheber allerdings auf andere Weise, nach völlig anderen Modellen abgegolten als bisher. Diese skizziert Barlow in Umrissen.
Seiner Argumentation liegt die durchaus plausible Auffassung zugrunde, der Wert jedes schöpferischen, geistigen oder künstlerischen Tun und Denkens liege letztlich nicht in seinem Produktcharakter, sondern in der Schaffung einer besonderen Beziehung zum Rezipienten. Ist die Aufmerksamkeit des Benutzers erst gewonnen und er am Ertrag dieser Beziehung interessiert, wird er auch in Zukunft bereit sein, dafür zu bezahlen. Daß beispielsweise die CD-Verkäufe trotz Napster nicht gesunken, sondern gestiegen sind, scheint Barlow recht zu geben.
Auch wenn nach Napster nichts mehr sein werde wie zuvor, weil nun erwiesen ist, daß die Shareware-Idee längst eine irreversible Eigendynamik gewonnen hat, ist selbst der optimistische Visionär Barlow zurückhaltend mit konkreten Prognosen zu neuen Formen des Umgangs und Handels mit Ideen im Internet. Folgt man seiner Argumentation, zeichnet sich das neue System durch die Dominanz von Werten wie Präsenz oder Aufmerksamkeit aus. Um diese zu erhalten, werden ganz andere Strategien der Informationsverbreitung greifen als bisher. Es läßt sich absehen, daß dadurch gerade auch der Begriff des Schöpferischen mit der Zeit völlig neue, einschneidend andere Dimensionen annehmen könnte. Schöpferisch ist nicht mehr nur der, der in der Gelehrtenklause oder im Atelier vor sich hinwerkelt. Das ist nur die Basis. Schöpferisch ist vor allem, wer es versteht, sich die neuen Kanäle und Modelle der Gewinnung von Aufmerksamkeit, schnöd gesagt: des Selbst-Marketing, gefügig zu machen.
Selbst wenn man Barlows These akzeptiert, daß die Idee des Copyrights sich nicht halten lassen wird, zeichnet sich schon jetzt ab, daß die traditionellen Symbiosen und Hierarchien zwischen Urhebern und den Distributoren unwiderruflich durch neue ersetzt werden. Statt sich krampfhaft an die moderne, an bestimmte Konzepte von Kreativität und Originalität, sogar künstlerischer Autarkie gebundene Vorstellung des geistigen Eigentums zu klammern, sei es sinnvoller, über die Architektur und die Modalitäten der "neuen Ökonomie der Ideen" nachzudenken. Das allerdings, gesteht auch Barlow ein, sei der weitaus schwierigere Teil der Aufgabe.


Barlows Website mit Links zu weiteren Artikeln:
http://www.eff.org/~barlow/




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