Barbara Basting

Glasgefässe für den Zeitgeist

Kunsthalle meets Shopping Mall: Die <Fünf Höfe> von Herzog/de Meuron in München schaffen Schauräume für Lifestyle, Kunst und Kommerz



<Denken Sie sich das Geld weg, und eine Bank hat ein Problem. Denken Sie sich das Geld weg, und Kunst ist immer noch Kunst.> Sollen wir derlei Unsinn wirklich glauben? Dies jedenfalls scheint die bayerische Hypo-Vereinsbank zu wünschen, denn sonst würde sie nicht ganzseitige Zeitungsannoncen bezahlen, um mit diesen Sätzen für ihre wiedereröffnete Kunsthalle Aufmerksamkeit zu erheischen.
Die 1985 ins Leben gerufene Hypo-Kunsthalle ist ein Fixpunkt im Münchner Kulturbetrieb. Anfang der neunziger Jahre, als die Neuorganisation der staatlichen Häuser und die Frage nach einem Ort für die Moderne in München noch nicht geregelt war, sprang die Kunsthalle in die Bresche. Nun hat sich die drittgrösste Bank Europas einen Neubau von Jacques Herzog und Pierre de Meuron, den Architekten der <Tate Modern> gegönnt. Die Leiter der staatlichen Häuser sehen sich einer Konkurrenz gegenüber, die mit rund 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche plus party- und schickeriatauglichen Foyer- und Cafeteriaflächen an zentraler Lage samt geballter Finanzmacht im Hintergrund nicht zu verachten ist. Das jedenfalls verraten ihre ersten Kommentare.
Vor allem werden sie in ihren isolierten Solitären nie diese absolut zeitgeistkonforme, prickelnde Mischung aus Kunst und Kommerz schaffen können, die Herzog/De Meuron mit den <Fünf Höfen> an der Theatinerstrasse zustandegebracht haben, einer Nobel-Einkaufspassage, deren Imagegarant und Kronjuwel die Kunsthalle ist. Vollkommener kann man den bildungsbürgerlichen Fetisch der Kunstausstellung kaum mit dem kapitalistischen des Warendisplay verschmelzen. Die <Fünf Höfe> sind ein gebauter Kommentar über das heutige Verhältnis von Luxus, Lifestyle, Kunst oder, vulgo, Kunst und Geld, wie man ihn sich deutlicher nicht wünschen könnte.
Hier wird alles zur Ware oder zur atmosphärischen Stimulation eines vagen Begehrens nach Ware. Die Stimulation löst die platte Werbung ab, die uns alle ja nur noch nervt. Verwechslungen nicht ausgeschlossen: Die in die Bodenplatten der Passage eingelassenen Stichwörter von Rémy Zaugg etwa, die Natur evozieren, lesen sich in Nachbarschaft zum Laden des Manufactum-Versands, der das Wahre, Schöne, Gute aus der besseren alten Zeit zu gehobenen Preisen verkauft wird, nur noch als sentimentaler, kauflustfördernder Seelenschmalz.
Denn der Kontext ist hier einfach stärker als die Kunst; er will ja selber Kunst sein. Der Kontext, das sind hohe gläserne Fronten - die Architekten sprechen preziös von <Glasgefässen> - vor karg bestückten Luxusläden und schicken Cafés. Hier regiert die Paradoxie der durchsichtigen Grenze zwischen Lifestyle-Akteuren und -zuschauern, zwischen feilgebotener und durch ihren Preis für viele unerreichbare Ware. Zum Kontext gehören aber auch der inszenierte Kreuzverkehr der Blicke: vom Foyer der Kunsthalle auf die Passage mit ihrem Flanierbetrieb, aus dem oberen Stockwerk des wallpapertauglichen Kunsthallencafés auf den Showroom des italienischen Nobelschneiders. Durchdringung von Kunst und Leben hiess das, als die Menschen noch Träume hatten, in denen nicht immer nur Kaschmir und Prada vorkamen.
Endlich, nach mannigfachen Ablenkungen, landet man dann doch in der Kunsthalle. <Der kühle Blick> heisst die von Gastkurator Wieland Schmied souverän komponierte Eröffnungsausstellung. Sie ist als visueller Paukenschlag, als Hochamt für Kunstfürchtige kalkuliert und zelebriert und damit die ideale Garnitur der neuen location. Denn den kühlen Blick, die sedierende Wirkung homogener und doch hinreichend kontrastreicher Oberflächen, etwa der verstellbarenen bronzenen Fassaden-Lochgitter, pflegt auch die Architektur bis in den letzten Winkel. Die acht angenehm proportionierten Ausstellungssäle huldigen mit hellem Eichenparkett und zartgrauem Wandanstrich einer Ästhetik der dienstbaren Selbstverleugnung. Doch sind sie - wie die <Fünf Höfe> insgesamt - kein neues Statement, sondern eher virtuoses Spiel der Architekten auf der Klaviatur ihrer Fähigkeiten.
<Der kühle Blick> vereint rund 170 Gemälde aus den Zwanzigerjahren, die man gemeinhin unter dem Begriff der <Neuen Sachlichkeit> fasst. Doch geht die geschickt arrangierte Schau, die mit Prachtstücken aus Privatsammlungen aufwartet und auch eine stattliche Reihe bedeutender Werke aus europäischen und amerikanischen Museen versammelt, über alle bisherigen, meist national begrenzten Epochenüberblicke hinaus. Sie bindet die gesellschaftskritischen deutschen <Veristen> wie Otto Dix, Georg Grosz, den exzellenten Rudolf Schlichter ebenso ein wie die amerikanischen Präzisionisten. Nicht alle sind so bekannt wie Edward Hopper oder Georgia O'Keeffe; Charles Sheeler etwa ist zu entdecken. Der neoklassizistische Picasso wiederum trifft, in einem grossartigen Pas-de-deux, mit dem gut vertretenen Beckmann zusammen; daneben sind ungesehene oder wenig bekannte Werke von Balthus, von Magritte, von Miró und Dalí, Léger und Modigliano zu einem vielstimmigen Ensemble komponiert.
Die Verdaulichkeit der Ausstellung rührt weniger von einem durchgängigen kühlen Blick her, der Dinge und Menschen in beruhigender Flächigkeit einfröre, sondern von einer anregenden Gruppierung der Werke nach Motiven. Der erste Saal: nur Frauenporträts, Nutten, Mondäne, Waschweiber, der zweite: Männer, Angestellte und Künstler. Separat die menschenleere Industriewelt bei den Amerikanern, die glacierten europäischen Stilleben mit Gummibaum und Grammofon. Die eigentliche Entdeckung aber sind die bei aller Kühle doch beträchtlichen Temperaturunterschiede der Maler und auch zahlreichen Malerinnen.
Die motiv- und kulturgeschichtlich orientierten Katalogbeiträge von Wieland Schmied und Jean Clair bieten jenen Bezugsraster, der sich durch Schauen alleine kaum erschliesst. Warum uns aber diese Kunst heute so nah ist, verrät Wieland Schmied in einer fast beiläufigen Charakterisierung der Zwanzigerjahre: <Der Wunsch, mit dem Zeitgeist Schritt zu halten, war meist kleiner, als das Verlangen, dem Zeitgeist zu entkommen.> Als Notbremsmanöver kam das Kühle in die Welt. Die Bedingungen für sein Überleben haben sich seitdem stetig verbessert.

Bis 2. September 2001. www.hypo-kunsthalle.de, Katalog 48 Mark.