Barbara Basting

Virtuelle Küchen


Zu den Paradoxa der Lebenswelt gehört, daß die Küchen zumindest in den Wohngazetten immer luxuriöser und größer werden, während gleichzeitig der Siegeszug von Tiefkühlpizzas, Instantsuppen, Pommefrites-Dispensern und Fertigmenüs im Alltag alles, was über einen Kühlschrank und eine Mikrowelle hinausgeht, als völlig überflüssig erscheinen läßt. Dabei scheinen die chromstahlglänzenden, kliniktauglichen, dreißig Quadratmeter grossen Bulthaup-Küchen mit Back- und Brauelektronik vor allem als visuelle Surrogate zu funktionieren, als Traumküchen eben. Denn in der Realität sind sie aus Kostengründen eher selten.
Zum Glück wächst, parallel zur fortschreitenden High-Tech-Aufrüstung der realen Küchen, für das kleine Portemonnaie das Angebot an virtuellen Traumküchen. Denn die Cyberkunst hat den Reiz der Küche für sich entdeckt. Gleich drei der jüngst auf dem Video- und Medienfestival VIPER in Basel vorgestellten CD-Rom-Arbeiten, eine davon heißt sogar ausdrücklich "Dreamkitchen (http://sysx.org/dreamkitchen), nutzen Küchen als Kulissen für höchst raffinierte Spielchen. Im "Dreamkitchen" einer australischen Künstlergruppe sticht eine aufschlußreiche Bedeutungsverlagerung ins Auge: Die Küche ist nicht mehr die Käfig-, Kampf- und sogar heimliche Emanzipationszone der Frau wie in manchen feministischen Videos. Sie dient auch nicht als ironische Chiffre für ein obsoletes Gesellschaftsmodell wie in Ilya Kabakovs bekannter Installation "Gemeinschaftsküche". Vielmehr wird sie zum zunächst verlockenden, pädagogisch ausmöblierten Hinterhalt: Hinter der perfekten Oberfläche kommen immer mehr Dreck und Ungeziefer, Abfall und Gift zum Vorschein und nehmen allmählich überhand; jeder Versuch, sie loszuwerden, führt zur Vermehrung von Abfall und Schädlingen. Die Traumküche wird zur Alptraumküche. Vorteil: Die Schrecknisse sind nur virtuell.
Auf der originellen Spiel-CD-Rom "Biophily" (www.myzel.net/biophily) des österreichischen Künstlers Thomas Feuerstein hingegen wird die Küche zur Chiffre für die High-Tech-Experimentierstätten der Biotechnologie. Der Benutzer, der sich kritisch mit den globalen Konsequenzen der Biotechnologie auseinandersetzen soll, wird mehrfach in Küchen gelotst. Dort hat er diverse Aufgaben zu lösen, die eher mit Gentechnologie und Pharmakologie zu tun haben als mit leiblichen Genüssen. Die Küche ist kein Hort duftender Gemütlichkeit mehr, sondern, wie der über die Bildfläche laufende Text erklärt, eine Neuauflage der alchimistischen Hexenküche. Hier werden nicht mehr harmlose Suppendosen, sondern Pandorabüchsen geöffnet. Statt des üblichen Fliegenfängers hängt eine DNA-Doppelhelix von der Decke, und eine Galerie von Dildos steht anspielungsreich neben den Reagenzgläsern, in denen Menschen geklont werden. Nur der Kühlschrank behält seine althergebrachte Funktion. Hier finden die eifrigen Forscher die kleine Instant-Belohnung für zwischendurch. Diesmal erweist sich die Virtualität als nachteilig: statt Mars und Snickers befördert der Mausklick leider nur ein Pop-Up Menü an die Oberfläche.



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