Das plötzliche Ende von «sitemapping.ch»

von Barbara Basting


Das Bundesamt für Kultur hat während dreier Jahre ein hoch differenziertes Fördermodell für Kulturprojekte im Bereich neue Medien entwickelt. Für die Umsetzung stellt es nun fast keine Mittel bereit.

Spät genug, knapp vor dem Platzen der Dotcom-Blase, hat der Bundesrat die Herausforderungen und Chancen der Informationsgesellschaft erfasst. Im Februar 1998 verabschiedete er ein hochgemutes Strategiepapier. Zitat: «Der Bundesrat erklärt (. . .) die Verwirklichung seiner Strategie zur Förderung der Informationsgesellschaft als prioritär.»
Daraufhin erhielt unter anderem das EDI den Auftrag, Vorschläge für eine Förderungsstrategie im Bereich der Kultur auszuarbeiten. Im Bundesamt für Kultur (BAK), Abteilung Film, wurde unter Leitung von Marc Wehrlin das Projekt «sitemapping.ch» ins Leben gerufen. Man sammelte national und international Erkenntnisse im Bereich der «Neuen Informations- und Kommunikations-Technologien» (NIKT). Zwei Kolloquien klopften im Herbst 2000 und Frühjahr 2001 (vgl. TA vom 3. 4. 2001 und 22. 2. 2002) in einem für den Kulturbereich beispiellosen Hearing die hiesige Neue-Medien-Szene auf ihre Bedürfnisse und Ideen hin ab. Das weckte naturgemäss Hoffnungen.
Die reiche Ausbeute an gewonnenen Erkenntnissen führte im BAK zur Ausarbeitung eines differenzierten modularen Fördermodells, genannt Aktionsplan, der das Datum vom März 2002 trägt, aber erst jetzt publiziert wurde. Er sieht drei Säulen vor: Einen «Commissioner», der «in flexibler Weise künstlerische Aktivitäten im Bereich der neuen Medien fördert». Ein «Centre Virtuel» zwecks Vernetzung und Verbesserung bestehender Infrastrukturen. Dazu das Modell «Active Archive», das der Konservierung und dem Zugang zu den Werken der digitalen Medienkunst dienen sollte. Der Finanzbedarf hätte im ersten Jahr eine Million Franken, in den folgenden Jahren je sechs Millionen Franken betragen. Das Projekt «Aktive
Archive», an dem die Hochschule für Gestaltung, Kunst und Konservieren Bern sowie das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK) in Zürich beteiligt sind, wurde bereits gestartet. Die Finanzierung seitens des BAK läuft laut SIK allerdings schon Ende 2002 aus. Das Pilotprojekt ist bis dahin nur zu zwei Dritteln realisiert.

Enttäuscht und verärgert

Der nun kommunizierte Aktionsplan wurde begleitet von einer Pressemitteilung mit dem Titel «Aktionsplan steht». Das Communiqué machte aber klar, dass er im selben Zug umgeworfen wird: «"sitemapping.ch findet mit der beiliegenden Publikation seinen Abschluss.» Als Argument dient einzig die schlechte Finanzlage des Bundes. Denn im Departement Dreifuss hatte der Aktionsplan Lob geerntet.
Die Enttäuschung und Verärgerung ist nicht nur in der Szene, wo idealistische Initiativen überwiegen, gross. Auch Marc Wehrlin vom BAK steht als Verlierer da: «Die Direktion hatte das Gefühl, das sei nicht prioritär. Ich bedauere das. Es ist hervorragende Vorarbeit geleistet worden. Gerettet ist teilweise die Förderung von digitaler Medienkunst (über die Sektion Kunst und Design) mit einem Jahresbudget von 280 000 Franken. Ich hatte mich für eine Überlebensstrategie eingesetzt - im Sinne einer Zurücksetzung -, bin aber nicht durchgekommen.»

Entwicklungspotenzial verkannt

Die brüske Abkehr von einem nationalen Förderungsprojekt schwächt auch die noch raren kantonalen Initiativen, wie etwa in Basel-Stadt. Sie hatten sich von «sitemapping.ch» weniger Finanzmittel als vielmehr ideellen Rückhalt erhofft. Hedy Graber, Beauftragte für Kulturprojekte im Erziehungsdepartement von Basel-Stadt und Mitglied des Steuerungsausschusses von «sitemapping.ch», rätselt, warum «sitemapping.ch» im BAK nicht mehrheitsfähig war. «Dass das kulturelle Schaffen mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien für die Zukunft der Schweiz wichtige Konsequenzen und ein grosses
Entwicklungspotenzial haben kann, ist anscheinend nicht erkannt worden.» Hedy Graber hofft, dass das Hearing mit all seien Erkenntnissen «nicht für die Schublade war.»
Das hingegen befürchtet André Iten, Leiter des pionierhaften Centre pour l'image contemporaine (CIC) in Genf, das stark bei «sitemapping.ch» beteiligt wurde. «Nach drei Jahren Arbeit hat man das schlimme Gefühl, das Ganze sei von der Direktion des BAK nie wirklich getragen worden. Diese Verschwendung von geistigen Ressourcen und Engagement sei für ihn empörend und entmutigend. Auch Annette Schindler, Leiterin des «plug-in», interpretiert das Ende von «sitemapping.ch» negativ: «Man will die vorhandenen Strukturen nicht stärken und macht es ihnen damit schwerer, sich zu entwickeln.»
Warum desavouiert das BAK ausgerechnet jene Kulturschaffenden, die sich in einem unabgesicherten, aber unbestritten zukunftsweisenden Terrain bewegen? David Streiff, Leiter des Bundesamtes für Kultur,
antwortet: «Die Hoffnungen waren hoch geschraubt, nun holt uns die Realität ein. Von Desavouierung kann nicht die Rede sein, lediglich von einer Etappierung der Ziele, die von den engagierten Leuten dieser Szene
verständlicherweise als negatives Signal wahrgenommen wurde.» Angesichts der Finanzlage habe man «im Innern des BAK anderen Zusatzbedürfnissen in angestammten Tätigkeitsfeldern erste Priorität» zuerkennen müssen, etwa der Schweizerischen Landesbibliothek oder der Filmförderung. Für den Pilotversuch von «Active Archiv» warte man nun auf Ergebnisse, für das Centre Virtuel wird eine Machbarkeitsstudie erstellt.
«Sobald beides vorliegt, werden wir im Rahmen der ordentlichen Strukturen Mittel der Umsetzung suchen. Insofern werden wir auf "sitemapping.ch zurückkommen.» Aber wann? Und wer soll so lange in die Bresche
springen? Streiff meint illusionslos: «Die Interessen der Wirtschaft und des Marktes reichen vermutlich gerade in diesem Terrain allein nicht, um Innovation zu ermöglichen und um Geschaffenes zu bewahren und zu vermitteln. Aber selbstverständlich suchen wir dort Partnerschaften.»
Rückblickend entsteht der deprimierende Eindruck, die sorgfältige, aber auchlangwierige und aufwändige Phase der Evaluation habe nur schlau bedrucktes Papier hervorgebracht. Und die Wirtschaft zieht, das ist inzwischen bekannt, zwar gerne Knowhow aus der Neue-Medien-Szene ab, mag aber die dafür nötigen Experimente kaum mittragen.
Nach drei Jahren hat man das Gefühl, das Projekt sei nie getragen gewesen.


© Tages-Anzeiger, 2002-11-30; Seite 54; Nummer
Kultur