Barbara Basting

«Ein gutes Bild graviert sich ein»

James A. Fox war während vieler Jahre «das Auge» der Fotoagentur Magnum. Er gehört international zu den angesehensten Kennern der Fotografie.


«Ich bin nicht sicher, ob die Tätigkeit eines Bildredaktors die Leser einer Tageszeitung interessiert», schreibt James A. Fox im Mail, das unseren Gesprächstermin bestätigt. Schon möglich. Aber schliesslich ist nicht jeder Bildredaktor Jimmy Fox. Fox hat bis zu seiner Pensionierung 2000 während fast dreissig Jahren im Pariser Büro der berühmten Fotoagentur Magnum die Bildreportagen betreut und ediert. Will sagen: Aus der Ausbeute der Fotografen jene zwölf, fünfzehn Bilder herausdestilliert, die dann den Nachrichtenmagazinen als Geschichte angeboten wurden.
Ob Henri Cartier-Bresson, Bruce Davidson, Elliott Erwitt, Marilyn Silverstone, Inge Morath, Bruce Davidson, René Burri, Marc Riboud, Gilles Peress - Fox hat geholfen, ihre Kontaktbögen zu sichten. Er war Gesprächspartner und Nadelöhr. «Jimmy hat das beste Urteil und ein fabelhaftes Gedächtnis», würdigte ihn Marc Riboud in einem Film, den Arte Fox im Jahr 2000 widmete.

Bilder, die die Geschichte fixieren
Wie wichtig seine Rolle war, lässt Fox nur diskret durchblicken, indem er auf einen bedeutenden Vorgänger hinweist: «Kennen Sie das Erinnerungsbuch "Get the Picture von John G. Morris?» Morris war ab 1938 Bildredaktor beim legendären Magazin «Life». Morris schreibt: «Bildredaktoren sind wissentlich oder unwissentlich Geschmacksbildner; sie sind inoffizielle Hüter der Moral, Talentbroker, Komplizen der Berühmtheit. Am wichtigsten - und verstörendsten: Sie fixieren die Realität und die Geschichte.»
Im Gang des bescheidenen Appartements, das Jimmy Fox im 15. Pariser Arrondissement bewohnt, hängen die Fotografien dicht an dicht. Der Blick fällt sogleich auf Robert Capas sterbenden Soldaten und, gleich daneben, René Burris Porträt von Che Guevara. Ikonen. Aber das wertvollste Bild ist für Fox eine Fotografie, die André Kertesz (1894-1977) ihm geschenkt habe. Sie zeigt eine Strassenszene in Ungarn. Fox erzählt von seiner ersten Begegnung mit Kertesz: Ein älterer Mann mit einem Packen Negative unterm Arm kam in die New Yorker Magnum-Agentur und bemerkte beiläufig: «Die Leute rennen die ganze Zeit herum, ohne zu sehen, was wirklich wichtig ist.»
Die Bemerkung ist Jimmy Fox in Erinnerung geblieben. Vielleicht, weil es seine Aufgabe war, jene Bilder herauszufiltern, die wichtig sein würden. «Die einzelnen Bilder müssen einem wieder in den Sinn kommen», so sein Credo. «Ein gutes Bild graviert sich einem unauslöschlich ein.» Ebenso wichtig ist die Komposition einer Bildstrecke: Lauter Höhepunkte nacheinander sind unerträglich.

Traumatische Kriegserlebnisse
Wie ist Jimmy Fox zu den Bildern gekommen und wie zu seinen Kriterien? Erst mit 19 Jahren, im Militärdienst, hat der 1935 im belgischen Ypern als Sohn eines englischen Vaters und einer belgischen Mutter Geborene zum ersten Mal eine Kamera in der Hand gehabt. Aber schon im ersten Mail kommt er auf die Geschichte seiner Kindheit zu sprechen, die er derzeit erforscht. Es sei ihm gelungen, sie anhand von in jüngster Zeit in den Alben einer Klassenkameradin aufgetauchten Fotografien zu rekonstruieren. Keine ganz gewöhnliche Spurensuche. Der Vater war im Auftrag «Imperial Wargrave Comission» für die Soldatenfriedhöfe in Flandern zuständig, Jimmy Fox wuchs inmitten der ehemaligen Schlachtfelder «mit den Toten» auf. Fox' Familie wurde wie andere Angehörige der britischen Kolonie in Belgien im Mai 1940 evakuiert. «Diese traumatische Erfahrung, als Fünfjähriger auf dem Fahrrad mit meinem Vater unter Stukabeschuss über Felder und Landstrassen ins brennende Calais zu fliehen, wo ein einziges englisches Schiff auf uns wartete, hat mich geprägt. Ich sehe noch die zerstörte Schleuse vor mir, über die wir rennen mussten, um zum Schiff zu gelangen.»
Nach der Schulzeit in England und Belgien und nach seinem Militärdienst in Grossbritannien kam Fox 1956 als Fotoarchivar zur Nato in Paris. Genüsslich erzählt er, wie er im Einstellungsgespräch drei bedeutende französische Fotografen nennen sollte und passen musste. «Was, Sie kennen nicht einmal Cartier-Bresson», entrüstete man sich. Dennoch bekam er die Stelle, die er innehatte, bis er 1966 zur New Yorker Filiale von Magnum stiess.
Schon während der Zeit bei der Nato hatte er viele Kontakte zu Bildagenturen. 1971 kehrte Fox nach Paris zurück und wurde Fotoredaktor der «Encyclopaedia Britannica». Danach arbeitete er ab 1973 als Chefredaktor für Reportagen in der Presseagentur Sygma, einer Abspaltung von Magnum, wo er dem Amateurfotografen Sebastiao Salgado begegnete. Ab 1976 wirkte Fox im Pariser Magnum-Büro als Chefredaktor.
Bilder, die haften bleiben, sind oft Bilder des Schreckens. Die Geschichte der Fotografie und ihres enormen Aufschwungs als Massenmedium im 20. Jahrhundert ist eng verknüpft mit der Geschichte der modernen Kriege. Sicher ist es kein Zufall, dass einer wie Jimmy Fox, dem sich früh schreckliche Bilder ins Gedächtnis eingebrannt haben, ein Sensorium für starke Bilder entwickelt hat.
Weniger selbstverständlich vielleicht, dass er im immer hektischeren Bilderkommerz die zentrale ethische Frage nach den Grenzen des Abbildbaren im Auge behalten hat. Denn auch wenn Magnum, wie Fox scherzhaft bemerkt, als «Vatikan» der so genannten «concerned photography» gilt, der verantwortungsvollen, engagierten Fotografie, müssen auch dort Standards immer wieder neu diskutiert werden. Fox berichtet von der für ihn exemplarischen Arbeitsweise Sebastiao Salgados, dessen Reportagen er ediert hat. Dem Standardeinwand gegen Salgados Reportagen über Flüchtlinge oder Arbeiter weltweit, sie ästhetisierten das Elend, hält er die Arbeitsweise des Fotografen entgegen.

Besucher oder Voyeur?

«Als Salgado am Anfang seiner Arbeit für die Agentur schreckliche, sehr harte Bilder von hungernden Flüchtlingen aus den äthiopischen Lagern durch Angehörige der Organisation Médecins Sans Frontières zu uns bringen liess, habe ich sie gefragt, wie Salgado arbeitet. Sie entgegneten mir, er sei unermüdlich. Er habe sich von morgens früh, wenn die Lager geöffnet würden, bis abends spät dort aufgehalten. Ich kenne andere Fotografen, die sind schnell rein, haben ihr Farbfoto geschossen, sind höchstens einen Tag geblieben. Sebastiao hatte etwas begriffen: Man ist an so einem Ort kein Besucher. Wenn man etwas verstehen will, muss man bleiben, mit den Leuten sprechen.» Den klischeehaften Vorwurf, der Fotograf agiere als Voyeur, lässt Fox jedenfalls für Salgado nicht gelten.
Die Frage, wann die Fotografie unmoralisch wird, erinnert ihn an seine Diskussionen während des Vietnamkrieges mit Don McCullin: «Wann soll man den Fotoapparat zur Seite legen und ein sterbendes Kind retten? Sicher, als Fotograf hat man eine Funktion. Aber ich habe Fotografien vor mir gehabt - ich verrate keine Namen -, wo der Fotograf um die Opfer herumläuft und der Bildausschnitt auf den Millimeter genau stimmt, wo die Ästhetik wichtiger wird als die Emotion. Ich finde das krank, dahinter steckt ein psychologisches Problem. Denn das Übermass an Ästhetik will die Aufmerksamkeit auf denjenigen lenken, der es geschaffen hat, und vernebelt den Blick für das, was es auf der Fotografie wirklich zu sehen gibt. Ein Fotograf ist nicht wichtiger als die Person vor der Kamera.»

Faszination durch den Körper
Fox ist zurückhaltend mit Namen. Aber es wird klar, dass für ihn die menschliche Haltung eines Fotografen zentral ist und sich auch im Resultat niederschlägt. Mit der Kunstfotografie à la Gursky, Tillmans, Mikhailovs, die derzeit floriert, kann Fox wenig anfangen, weil sie sich zu sehr den Glamourmechanismen des Kunstbetriebes unterwerfe, zu sehr Nabelschau bleibe, sich zu wenig ehrlich engagiere.
Im Entree hängen aber nicht nur die Fotografien anderer, sondern auch solche von Jimmy Fox. Ohne dass seine Kollegen bei Magnum davon wussten, hat er über drei Jahrzehnte hinweg Boxer fotografiert. Erst nach seiner Pensionierung ist der Bildband «Boxen» entstanden. Wer sich nun darunter ein Sportfotobuch vorstellt, liegt falsch. Fox hat sich mit den Kriterien, die er auf die Magnum-Kollegen anwandte, dem Thema genähert. Die Faszination durch die Körper wird konfrontiert mit dem gnadenlosen Blick auf die brutalen Seiten dieses Sports.

Amateur des Bleistifts
Das ist nicht die einzige Überraschung. Ähnlich wie Henri Cartier-Bresson, für den das Zeichnen seit Jahrzehnten wieder im Vordergrund steht, ist auch James A. Fox ein Amateur des Bleistifts. Mit lockerer Hand skizziert er etwa Strassenszenen. Immer sind Menschen auf diesen Zeichnungen zu sehen. «Du hast Recht, die Menschen schauen einem gerne zu beim Malen. Wenn du jedoch Fotos machst, haben sie das Gefühl, du würdest ihnen etwas wegnehmen», schreibt Henri Cartier-Bresson 1982 an «Dear Jimmy». Da taucht er wieder auf, der Leitsatz: «Fotografie darf kein Stehlen sein.» Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass in dieser Haltung und nicht in formalen Massstäben das Geheimnis von Jimmy Fox, dem «Auge» von Magnum, liegt.

James A. Fox: Boxen. 160 s/w-Fotografien. Knesebeck, München 2001. 81 Franken.
James A. Fox. Hg. von Ilker Maga, mit Zeichnungen, Fotografien und ausführlicher Bio-Bibliografie. Edition M, Bremen 2001. 50.26 Euro.

Text erschienen in: Tages-Anzeiger, Zürich 2003-10-10; Seite 57