Barbara Basting

Viel mehr als nur Ostexotik im Köcher

Seit Sommer 2003 ist der junge polnische Kurator Adam Szymczyk Leiter der angesehenen Basler Kunsthalle. Schon jetzt bezieht er deutlich Position.

Adam Szymczyk mag einem im ersten Moment linkisch erscheinen. Im ironisch gemeinten Nadelstreifenanzug, wie ihn die Kunstszene derzeit liebt, hinter Schüchternheit verschanzt, sitzt er in der Campari-Bar der Kunsthalle, raucht eine nach der anderen und ist zunächst sogar mit Blickkontakten vorsichtig. Taut dann aber zusehends auf. Lächelt verstohlen, vielleicht leise spöttisch, als die Besucherin von ihrer Expedition in der Warschauer Kunstszene im Oktober 1989 zwecks Sondierung für ein «du»-Heft erzählt und vom schwierigen Versuch, kurz vor dem Mauerfall zu kapieren, wie diese Szene tickte. Das Scharnier war damals die Galeria Foksal. Keine kommerzielle Galerie im westlichen Stil, sondern ein kleiner, vom Staat geduldeter «White Cube», der seit den 60er-Jahren unter der Leitung Wieslaw Borowskis und anderer Kuratoren den Austausch mit westlichen Künstlern förderte. Eines der vielen Kulturlöcher im Eisernen Vorhang, von denen Adam in seiner pointierten Weise später sagen wird, sie seien «wichtiger gewesen als der Vorhang». Nur habe man es verpasst, sie gleich nach der «Wende» wenigstens grob zu kartografieren; darum kämen auch die grossen «Kisten» wie jüngst Traumfabrik Kommunismus oder Berlin-Moskau zu spät. «Sie sind nachträgliche Konstruktionen. Es hätte interessant sein können, 1991 eine grosse Ost-West-Schau mit lebenden Künstlern zu machen. Das wäre ein spekulativer Vorschlag, eine Hypothese gewesen. Aber niemand hat das versucht. Kunstindustrie und -geschichte sind immer im Verzug.»

Robert Walser in Polen

In der Galeria Foksal begann auch die kuratorische Tätigkeit des 1970 geborenen Adam Szymczyk. Er hatte 1989 sein Kunstgeschichtsstudium an der Universität Warschau aufgenommen. Parallel zum Studium publizierte er Kunstkritiken - in Katalogen und Zeitschriften, die in den ersten postkommunistischen Jahren, «als es noch mehr Geld dafür gab», auch von westlichen Förderern, in Polen aus dem Boden schossen. Szymczyk nahm 1995/96 am renommierten «Curatorial Training Programme» der niederländischen De Appel Stichting in Amsterdam teil. Nach der Rückkehr begann er mit Andrez Przywara und Joanna Mytkowska die Zusammenarbeit mit der Galeria Foksal; 1997 wurde die Foksal Gallery Foundation (FGF) gegründet. Sie unterstützte junge polnische Künstlern wie Pawel Althamer, Artur Zmijewski, Monika Sosnowska und Wilhelm Sasnal früh in ihrer Karriere. Die FGF trat 2000 erfolgreich zum ersten Mal an der Kunstmesse «Liste» in Basel auf. Die drei jungen Kuratoren verliessen die Galeria Foksal und eröffneten ein Jahr später einen neuen Raum in einem Hinterhof an der Nowy Swiat, der bekanntesten Flanier- und Einkaufsmeile Warschaus. Ihre erste Ausstellung «Walk To the End of the World» zog Parallelen zwischen dem Schreiben Robert Walsers und der Arbeit zeitgenössischer Künstler. Als freie Kuratoren luden Szymczyk und seine Kollegen auch Schweizer Künstler nach Polen ein.
Kein Wunder, erwähnt Szymczyk auf die Frage, warum er sich als Nachfolger von Peter Pakesch beworben habe, seine Beziehungen zu Basel. Er wurde, das sagt er allerdings nicht selber, angefragt, sich zu bewerben. Und wenn man nur die gröbsten Umrisse der für den west-östlichen Kunstaustausch wichtigen Foksal-Geschichte kennt, erübrigt sich auch fast die Frage nach der Begründung. Der Kandidat versprach neben dem gewünschten Generationenwechsel das vom vampirischen Kunstbetrieb begehrte frische Blut. Basel holte sich mit Szymczyk auch «Verbindungen zu Kunsträumen und Kritikern in weniger bekannten Zonen Europas», wie das Pressecommuniqué zu seiner Ernennung wolkig mitteilte. Claudia Jolles, Chefredaktorin des Kunstbulletins und Mitglied der Auswahlkommission, erhofft sich von der Ernennung gar eine «Signalwirkung». Als einziger Kandidat habe Adam «hartnäckig immer nur von Künstlern gesprochen», während andere Bewerber mit Betriebsmodellen argumentierten.

Der Ostbonus ist weg

Im Gespräch mit Szymczyk zerstreut sich schnell der Verdacht, Vernetzung und Ostexotik seien seine einzigen Trümpfe. Seine Äusserungen bezeugen Behutsamkeit und diplomatisches Geschick. Er ist ein so klarer und kompromissloser wie selbstbewusster Denker. Das wird etwa deutlich, als wir über den Ort der Kunst in der heutigen Gesellschaft und das komplexe, derzeit wieder hoch aktuelle Verhältnis zwischen Kunst und Politik sprechen. Szymczyk sieht Kunst als «Ort für Diskussionen, aber nicht als Feld, das nur um seiner selbst willen verteidigt werden sollte». Er gibt sich auch keinen Illusionen hin, dass Kunst die Politik direkt beeinflussen könne. «Aber es ist spannend zu sehen, wie die Kunst auf politische Themen reagiert, wie sie sie in grössere Kontexte einbindet - oder wie sie manchmal der Politik auch den Rücken kehrt.» Über die Macht- und Interessenstrukturen des Kulturbetriebs hat er sich ebenso viele Gedanken gemacht wie über das schwierige Verhältnis von «West-» und «Ostkunst», über den bald 14 Jahre nach dem Mauerfall noch immer von Klischees und sentimentalen Erwartungen geprägten westlichen Blick auf Osteuropa.
Belustigt fragt er, ob wir das neueste Heft von «Art» gesehen hätten, wo die junge polnische Kunst entdeckt werde. «Immer noch steckt hinter diesen Annäherungen die Idee, man habe Mitteleuropa vergessen, es gebe da noch Reste einer übersehenen, vernachlässigten Kunstgeschichte. Aber diese Sorgen sind überflüssig», meint er sarkastisch. «Denn jede Idee der nachträglichen Geschichtskorrektur verrät den Willen zur Dominanz derer, die diese Geschichte neu schreiben wollen.» Und auf die Frage, ob es nicht nötig und gut sei, dass ein breiteres Publikum durch grosse Überblicksausstellungen sensibilisiert und neugierig gemacht werde, meint Szymczyk fast scharf: «Ich halte nichts von generellen Interessen, von populistischen Verallgemeinerungen. Was lernt man von grossen Ausstellungen, die nie anders als unspezifisch sein können?» Er pocht darauf, dass die Künstler seiner Generation keinen Ostbonus mehr genössen. «Sie absolvieren ihre Ausbildung oft im Westen. Alles hat sich längst vermischt.»
Auch wenn Szymczyk sich nicht zu programmatischen Verlautbarungen hinreissen lässt, wird deutlich, dass er genau weiss, was er will. Seine Rolle ist ihm bewusst. Die Basler Kunsthalle ist ein weithin wahrgenommener Leuchtturm der Kunstszene; und sie ist auch für die Basler selber ein wichtiger Ort, mit dem man sich identifiziert. «Mit der Last der glorreichen Vergangenheit hat man es immer und überall zu tun, immer sind die wahren Genies schon längst tot und die grossartigen Ausstellungen Geschichte.» Zwecklos, die Macht der Institution zu leugnen, noch zweckloser, sich ihr entziehen zu wollen. Einfach ein bisschen so tun, als wenn da nichts wäre - das traut man Szymczyk zu. Es scheint auch ein guter Weg, um im kunstgesättigten Basel zu bestehen.

Basler Kultur-Subtexte

Wer institutionenbewusst ist, arbeitet auch mit der Institution, sogar wenn diese sich wie derzeit die Kunsthalle im Umbau befindet. Szymczyk will die Kunsthalle «in einer realistischeren Weise» an die Stadt anbinden. Das schliesst Projekte mit internationalem Horizont wie die Dialogreihe «Under Construction» in Zusammenarbeit mit dem ETH-Studio Basel, zu der die Avantgarde der letzten beiden Documentas in Basel aufkreuzt, nicht aus: Es geht dabei um theoretische Standortbestimmungen der Kunst. Sie tragen zum Transformationsprozess bei, in dem Szymczyk die Kunsthalle sieht.
Das Misstrauen gegenüber einem glamourösen Internationalismus ist nicht untypisch für eine Kuratorengeneration, die der Jetset-Allüren der 90er-Jahre überdrüssig ist. «Der Begriff der Provinz ist wichtig; das Abseitige,das Randständige, das Idiosynkratische». Davon ist Szymczyk überzeugt, und er scheint genau diese Kombination von Mikro- und Makroperspektive, die nichts mit einem Rückzug ins Réduit zu tun hat, zu verkörpern. «Worum es in dieser Stadt geht», interessiert ihn, und das heisst zum Beispiel auch, dass er Menschen ansprechen will, die bisher von der Kunsthalle nicht angesprochen wurden. Ein Projekt zu diesem Zweck ist «subtext.ch», eine offene Internetplattform, die Szymczyk zusammen mit Basler Aktivisten vom nt/Areal initiierte. Die dort abgegebenen, anonymen, aber erstaunlich differenzierten Kommentare über Kultur und urbanes Leben in Basel werden in vier Ausgaben der «Subtext»-Zeitung publiziert. Die erste Ausgabe ist gerade erschienen. Ein anderes offenes und sondierendes Projekt war «Hallimasch - Was tun in 30 Tagen», für das die Künstlerin Nicoletta Stalder während 30 Tagen Gäste in die Kunsthallen-Baustelle einladen durfte. Sie wählte nicht nur Kunstschaffende aus, sondern im kulturellen Feld tätige Menschen, die sich, wie sie es formulierte, «ihren eigenen Ideen und Passionen verschrieben haben». Das sorgte in Basel prompt für Aufruhr: Kritische Stimmen befürchteten einen zu elastischen Kunstbegriff. Aus etwas distanzierterer Perspektive lässt sich dazu nur sagen: Nicht der schlechteste Einstand. Denn eines erwartet man von einem neuen Kunsthalledirektor ganz sicher nicht: Langeweile, Überdefiniertes und Festgezurrtes.



Essen ist gut für die Kunst
Der Basler Kunstverein, Träger der Kunsthalle, besteht seit 1839. Die Basler Kunsthalle ist eine der ältesten, grössten und finanziell am besten ausgestatteten Institutionen ihrer Art in Europa. Das verdankt sie unter anderem einem klugen Modell, das ihr Pachteinnahmen aus dem in Basel traditionell sehr beliebten Restaurant Kunsthalle und einer Bar sichert. Ein stolzes Drittel des Gesamtetats von rund 2,5 Millionen Franken (2002; gegenüber 2,2 Mio. 2001) fliesst aus dieser Pacht, knapp ein weiteres Drittel aus öffentlichen Subventionen, das dritte Drittel aus Mitgliedsbeiträgen, Sponsorengeldern und Eintritten. In den letzten Jahrzehnten haben unter anderem Kuratoren wie Arnold Rüdlinger, Jean-Christophe Ammann, Thomas Kellein und Peter Pakesch zum markanten Profil der international beachteten Institution beigetragen. Die Latte liegt daher für neue Kuratoren besonders hoch. Herausfordernd ist auch die Konkurrenzsituation zum Museum für Gegenwartskunst sowie die besondere Identifikation der Basler Kunstinteressierten mit «ihrer» Kunsthalle. (bas)

Tages-Anzeiger, 13.01.2004; Seite 49;