Hans-Christian Dany, Christine Lemke (Frühling 99)

EIN LEERER HORIZONT


Manchmal wundern wir uns, dass wir wieder Schmutz an den Schuhen mit in die Wohnung bringen, obwohl es doch schon in unserer Kindheit selbstreinigende Raumschiffe gab. Auch verstehen wir nicht, warum unsere Freunde wieder erkennbar älter werden und die Replikanten aus dem Strassenbild verschwunden sind. Selbst Zeitreisen werden nicht mehr angeboten, obwohl die doch so beliebt waren. Etwas mit der Zukunft ist scheinbar schiefgelaufen. Fast kommt es einem so vor, als würde sich die Zeit im Kreis drehen und das, was wir für unsere Vergangenheit hielten, wiederholt sich als Gegenwart oder wird uns noch einmal als Zukunft versprochen. Um herauszubekommen was es mit diesem ungeraden Verlauf der Ereignisse auf sich hat oder ob es sich um eine Schlaufe in der Zeitachse handelt, wollen wir einigen Anzeichen folgen.
Während die Band "Blumfeld" im Radio singt, "todgesagt und nicht gestorben geistern wir durch neue Formen", stösst uns die Zeile darauf, dass wir dem Neuen fast schlafwandlerisch begegnen. Das Neue meist überhaupt erst als solches erkennen, wenn es schon wieder als solches vergangen ist. Der Aspekt des immer schon alten Neuen lässt sich aber noch aus einer anderen Perspektive betrachten: Zwar wird viel von dem gesprochen, was kommt, liegt das Wort "Zukunft" in der Luft, nur ist sie immer schon da gewesen, bevor wir ihre Verheissungen entgegennehmen konnten. So irren Bildtelefone schon eine kleine Ewigkeit durch unsere Erlebniswelt, sind aber immer noch kein ganz anwenderfreundlicher Bestandteil unserer Realität. Wenn das demnächst der Fall sein sollte, ist aus der Vergangenheit auf eine Art Zukunft geworden und umgekehrt. In diesem Kreisverkehr sackt die Gegenwart langsam in ein Zeitloch, auf dessen Ereignishorizont die Fortschrittsgeister nach Alzheimer tanzen, so als hätten sie die in Vergangenheit schon erzählte Zukunft längst vergessen. Technischer formuliert, loopt sich der Reigen eines ansonsten linear vorgestellten Zeitachse: Vergangenes und Zukünftiges bilden Schlaufen und breiten sich in einem merkwürdig erweiterten Hier und Jetzt aus.


TIMEWARP-FASHION

So präsentierte der Modedesigner Helmut Lang im letzten Winter seine Kollektion für das Jahr 2000. Zwischen den sich um eine Vorstellung von der Zukunft mühenden Gewändern fielen besonders die silbrigen Anzüge auf. Ihre Träger schienen einer Zeitmaschine entstiegen, die sie aus den Kulissen eines kurz vor der ersten Mondlandung gedrehten Science Fiction-Films auf den Laufsteg transportiert hatte.
Langs Spacecowboylook ist dem Äusseren des Audi TT nicht unähnlich - einem silbernem Buckelteil, das den Charme futuristischer Filmmobile der 50er Jahre mit den technologischen Ansprüchen der Gegenwart fusioniert.
Noch tiefer in die Kiste vergangener Zukunft greift die französische Modefirma Givenchy: In der Werbung für ihr neues Parfum sieht ein Astronaut so aus, als sei er einer Raumfahrtvision der Stummfilmzeit entsprungen. Der Glanz seines Anzugs hat schon eine Patina angenommen. Das bronzene Logo, eine Variation des mathematischen Faktors Pi, verweist ins Unendliche und nur das kleine Sprechfunkmikro unter seiner Glasglocke stellt eine Verbindung zur Gegenwart her.
Vorlage für das dazugehörige Givenchy-Flacon könnte ein Souvenir der Pyramiden von Gizeh gewesen sein. Die Hightech-Oberfläche verbindet sich mit mythologischen Verweisen. Es entsteht ein Vexierbild aus Astronaut und Mumie. Was über die Gegenwart hinaus, oder zumindest auf ihrer Höhe erscheinen soll, bedient sich archaischer Versatzstücke, nutzt die alten Mythen als Reservoir um Gegenwart mit der Aura des Zukünftigen direkt aus der Vergangenheit neu entstehen zu lassen. Derart archäologische Konstruktionsmethoden einer Vorstellung von Zukunft sind aus den verschiedensten Science Fiction-Universen bekannt. Fast als liesse sich das andersartige, des unbekannten Neuen nur im Rückgriff und der Übersteigerung vergangener Welt beschreiben. Das Feld des Zukünftigen wird mit einem mythologischen Hybrid besetzt.
In einer engen Zeitschlaufe bewegt sich das SF-Recycling der aktuellen Werbung von JOOP!. Die Modelle treten als halbtransparente Klons mit blicklosen Augen ins Bild. Altbekannte Androiden besetzen die Rollen gutangezogener Mittelklassewesen. Ihre Pupillen leuchten wie Dioden eines LCD-Bildschirms, so als halluziniere ihr blinder Ausblick die sich vervielfältigenden Bilder eines Spiegelkabinetts. Konträr zur endlosen Wiederholung vom Anmut ewiger Jugend, spinnt ihr Auftritt als posthumane Wesen weiter an der medialen Parade der Erzählung über das Ende der Geschichte und den letzten Menschen.
Fast wie die Blaupausen zur JOOP!-Werbung wirken die mit Reinheit und Erleuchtung im Zeichen der Lotosblume arbeitenden Zukunftsbilder und 3D-Animationen der New Yorker Künstlerin Mariko Mori. Ihre um die eigene Person zentrierten Androidenwelten eröffnen ein Nirvana des Artifiziellen, in dem sich jahrtausendealter Buddismus in futuristischen Blasen spiegelt. Dabei generiert sie einen wunderbaren Traum randvoll mit einer digitalen Pittoreske. Die von der Esoterik-Industrie so oft versuchte Verbindung aus Spiritualismus und Technoparadiesen löst hier endlich etwas ein: lupenreine Technik, wie man sie schon lange sehen wollte. Mori spielt mit der Sehnsucht nach einem transzendenten, also bezugs - wie geschichtslosem Raum. Dabei schimmert ihr Nirvana, das sich um eine Auflösung von Zeit bemüht, so blau, wie das zahlenlose Display einer Casio-Uhr. Blickt man öfter darauf, hat ihr Leuchten vorallem die Behauptung einer von technologischen Entwicklungen harmonisierten Zukunft zu bieten.

TECHNOLOGIE GO

Mit dem Aufkommen der Industrialisierung und der Technologisierung von Umwelt ist auch die Enstehung des Science Fiction anzusiedeln. Ein paradoxes Moment des Genre schien von Anfang an in seiner Eigenschaft, als phantastische Fiktion zu liegen und zugleich Ausdruck wissenschaftlich begründeten Fortschrittglaubens zu sein. Diese Idealisierung von Fortschritt prägte sich in die konkreten technomedialen Lebens- und Arbeitsbedingungen ein, stülpt sie aber gleichzeitig in einen zweiten, sich von diesen Verhältnissen lösenden Wirklichkeitsraum. So legte sich über die Tastatur einer effektivierten Schreib- und Rechenmaschine, die Aura der Konsole des Cybercowboys. In letzter Zeit gewinnen wir den Eindruck als würden sich diese Räume immer weiter ineinander auflösen: Gebündelt und wiedererkannt werden die Behauptungen der technologiegestützen Reise in die phantastischen Welten der Zukunft unter Superlabels, wie "Globalisierung", "Informationsgesellschaft" oder "Vernetzung", die sich wie ein Sprung in der Platte des technomedialen Weiter repetieren. "Egal ob das in drei oder fünf Jahren passiert, es wird kommen, weil es in der Technologie angelegt ist," ist nicht nur die Gewissheit von Nathan Myhrvold, dem Chief Technology Officer von Microsoft. In erster Linie geht es bei einer so verplanten Zukunft natürlich um die Durchsetzung von Technologien und die Erschliessung der aus ihnen resultierenden Märkte. Aber schon in Werbebotschaften wie: "auf Innovation programmiert" kristallisiert sich der double-bind. Kann das Unvorhersehbare der Zukunft programmatisch sein? Oder gibt es doch den grossen Plan? Zumindest laufen derartige Paradoxien auf die Beschwörung einer unausgesprochen vorausgesetzten Zwangsläufigkeit aller technologischen und kulturellen Entwicklungen hinaus. Es wird so getan als gäbe es nur diese eine Zukunft als Konsequenz aus einem sich naturhaft gebenden ökonomischen System, das keine Alternative mehr gelten lässt.
Fast zeigleich mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ist auch eine Dialektik von Dystopien und Utopien, wie sie noch in den 80ern produziert wurde (Atomkrieg, Umweltverschmutzung vs. Eine Welt in der nur noch die Roboter arbeiten müssen) zugunsten einer harmonisierten, technologiebestimmten mittelklasse Version des Zukünftigen eingeebnet worden. Endzeit-szenarien haben an Bedeutung verloren. Gleichzeitig gibt es momentan keine Utopien auf die sich eine grössere Gruppe von Menschen einigen könnte. Die Frage nach Sozietät löst sich in neuen technischen Anwendungen auf. Überlagert wird dieses Szenario von einer tautologische Figur: Die Projektionen des Zukünftigen bestehen aus vorweggenommenen Entwürfen. Ihre allseitige Präsenz besetzt die Gegenwart mit Fragen nach ihrer Bedeutung für die Zukunft, wobei der Horizont der möglichen Antworten schon vereinnahmt und längst vollmöbliert ist.
Einerseits setzt diese Vorwegnahme einen gegenwärtigen Zustand voraus, der sich so weit abgesichert glaubt, dass er sich im Grunde nur selbst zu reproduzieren braucht. Die Vorstellungen von Gesellschaft stehen dabei wie selbstverständlich keinen Moment zur Disposition. Andererseits entwickelt sich die vorallem vom Aufschub auf den Sachzwang Zukunft bestimmte Gegenwart, zu einem merkwürdigen Vakuum in dem die Realzeit immer schwerer auszumachen ist.
Neben diesen Zukunftslitaneien, mit ihren traurigen Bildern, wie plumpen Handschuhen, mit denen man in Datenräume greift, entsteht eine Erzählung vom Verschwinden des "Neuen". So wissen die Zeit-Fachleute des avancierten Lifestyle-Ökonomismus zu berichten: "Nicht Schöpfung ist gefragt, sondern das Zusammenfügen von Teilen zu einem nützlichen ganzen".
In dieser Behauptung oder Sehnsucht nach einem Zeitstillstand scheint sich auch der Erfolg des US-Labels GAP mit seiner "zeitlosen" Mode anzusiedeln. GAP, das im letzten Jahr einen Zuwachs von 45% verzeichnen konnte, ist quasi Post-Fashion, Kleidung die sich von Saison zu Saison nur minimal verändert und seit der Gründung des Unternehmens 1969 in leicht modifzierten Khaki stehenbleibt.
Andere Label hingegen erfinden ihre eigene Zeit: so hat Swatch seinen eigenen Meridian eingeführt, die "Biel Mean Time", in der die alten Minuten 86,4 Sekunden lang sind. Man könnte glauben, hier würde versucht eine fortgeschrittene Lebenszeit zu verlängern, in dem er die verstreichenden Minuten ein wenig ausdehnt. Neben dem Versuch wirtschaftlichen Erfolg in Form der Herrschaft über die Zeit, die industrielle Interessen sich selbst erfinden können, wird vorallem der kommende Zeitraum, die Zukunft, mit Bildern zu besetzt. Allen industriellen Omnipotenz-Phantasimen zum trotz werden die Anstrengungen dabei immer grösser. Die Bildvorräte, geschweige den Entwürfe scheinen erschöpft, was nicht nur an dem Rückgriff auf das Archiv des Zukünftigen, und dessen zunehmenden Verschleiss, zu erkennen ist.
Auch lässt kaum eine Unterbrechung Raum zwischen den Prognosen und Ankündigungen, für die Begegnung mit etwas Ungeahnten. Kaum eine Entleerung macht momentan empfänglich für das Unbekannte und was könnte das Neue anderes sein. Die permanenten Voraussagen entwerten die Gegenwart, die auf ein Durchgangsstadium reduziert wird. Blendende Zusammenhänge drehen sich im Kreis und bilden Blasen.
Perspektivischer, als dieser so anmassende, wie panische Versuch einer Vorwegnahme des Kommenden scheint ein Verständnis von Geschichte in dem die Zukunft für das Unvorhersehbare offenbleibt. Vielleicht geht es darum sich der Zukunft zuzuwenden, sie aber wie einen leeren Horizont zu betrachten, an dem sich alles möglich ereignen könnte. Wieder zu dieser etwas verschütteten Gelassenheit zu gelangen, scheint eine Möglichkeit um sich nicht weiter im Kreis zu drehen.