{LORI HERSBERGER}

Be good, be bad, and be ugly

von Christoph Doswald

Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist ein postmodernes Labyrinth – es herrscht der «Aufstand der Zeichen», Codes, Symbole, Klischees und Bilder, die wahrgenommen, gebraucht, missbraucht, verändert, instrumentalisiert, angeeignet und dann wieder in die Welt entlassen werden. Der Krieg in Jugoslawien präsentiert sich für die Bomberpiloten wie für die Nachrichenbetrachter in der guten Stube aus ein und derselben Perspektive, derjenigen der Kamera. Dieses Erfassen ist ein teilnahmsloses, die Bewertung und Kommentierung geschieht im Kopf der Betrachter und steht in Beziehung zu seinem eigenen Werte- und Erfahrungshorizont, referiert auf dessen Biographie und Geisteshaltung. Die Fiktionalisierung der Realität und die Verwirklichung der Fiktion sind Tatbestände, die wir in unseren Wahrnehmungsmustern internalisiert haben. Im ausgehenden 20. Jahrhundert bastelt das autopoietische Subjekt an seiner eigenen, gewissermassen autarken Lebenswelt: «be good, be bad, just be» – so lautet der Slogan für ein neues Parfum und das polyphone Motto einer ganzen Generation.

Die Installationen des Schweizer Künstlers Lori Hersberger operieren in dieser paradoxalen Grauzone von semantischen Feldern, von medialen Konstrukten, sentimentalen Mythen und folienhaften Bildern in denen sich die Konstruktion des autopoietischen Ichs abspielt. Besonders deutlich kommt diese Haltung in einer Arbeit zum Ausdruck, die Hersberger im letzten Sommer in der Berliner Akademie der Künste für die Ausstellung «Nonchalance Revisited» konzipierte. «Archaic Modern Suite», so der Titel der Installation, bestand aus hunderten von meist industriell gefertigen Teppichen, die der Künstler im Innenhof des modernistischen Gebäudes auslegte. Die Installation fungierte als Durchgangszone zwischen zwei Ausstellungsräumen, bespielte also im doppelten Sinne einen künstlerischen Un-Ort (Boden und Hof), rekontextualisierte das historische architektonische Setting vom japanistischen Garten im Patio des modernistischen Baus. Die moralisierende Kargheit des Ortes kontrastierte der Künstler mit der wuchernden Anarchie der Handelsware, die, von Flohmärkten, Trödlern und aus Do-it-yourself-Läden stammend, sich von Ferne zu einem flimmernden, pointilistischen Bodenbild konstituierte, um aus der Nahsicht als übelriechende, vergammelte zivilisatorische Restanzen ihren künstlerischen Glamour einzubüssen. Hersberger balanciert gekonnt zwischen diesen sich auflösenden und verschiebenden Fronten von Kunst- und Warenwelt, von Natur und Architektur, von kindlicher Narration und erwachsener Distinktion, von Zukunftsangst und Sinnstiftung.

Hersberger ist ein Fährtenleger. Er zielt aber nicht auf eine eindimensionale Entschlüsselungen seiner Arbeit, sondern legt vielschichtige Spuren, denen wir mit Hilfe unserer Rezeptionsmuster zwanghaft folgen. Doch, und das ist für Hersbergers künstlerische Strategie symptomatisch, die Spuren führen ins Nichts, werfen die Betrachter auf sich selber zurück. Und wenn sie eine Erkenntnis generieren, dann die, dass wir letztlich uns selbst produzieren. Da mag es nicht verwundern, dass Hersbergers Installation einen deutlichen autobiographischen Hang aufweisen. Die Teppiche etwa – obwohl von intersubjektiver Lesbarkeit – sind Teil seiner persönlichen Familienikonographie: Hersbergers Vater handelte mit seltenen Kelims aus dem Hohen Atlas. Wenn der Künstler in seinen Werken mit Autoversatzstücken wie Felgen oder Lenkrädern operiert («Pit Stop», 1997; «The Golden Roads», 1998), dann spiegelt sich darin seine Faszination für schnelle Wagen, glänzendes Chrom und den Glamour des Formel-Eins-Zirkus. Dass der Künstler selber als Punk-Musiker mehreren Bands angehörte, schlägt sich schliesslich in den in seinem Werk («Silver Room» 1997, «Bohemian Rapsody No. 9», 1998) immer wieder auftauchenden Gitarren und Schlagzeugen nieder, den symbolhaften Insignien der Pop- und Rockkultur.

Im Gegensatz zu «Archaic Modern Suite» eignet diesen Installationen eine uterale Qualität – der Partykeller, das Spielzimmer mit der Autobahn, die Discothek, das Kino, diese Projektionsräume im eigentlichen und übertragenen Sinn, sind abgedunkelte (Platon’sche) Höhlen in denen das autopoietische Subjekt Atem holt von den anstrengenden Prozessen der Selbstkonstruktion und der damit verbundenen Überprüfung der eigenen Wahrnehmungsmatrix. Hier wird das Eigene ungebrochen kultiviert, hier, im Underground werden die Träume generiert, die Sehnsüchte manifestiert, die Obsessionen ausgelebt. Bei Hersberger drehen sich diese Projektionen vordergründig um Geschwindigkeit, Ruhm, Erfolg, Sex und Männlichkeit. Mittels grossformatiger Projektion von Western- und Abenteuerfilmen («Excalibur», «Duel», «The Shooting», «Toby Dammit», «Django», etc.) evoziert er beim Betrachter einerseits den affirmativen Eskapismus der Sehnsuchtsmaschinen, lässt ihn gar via Schattenwurf zum Teil dieser bühnenhaften Inszenierung werden, um gleichzeitig die Konstruktionsprozesse dieser filmischen Klischees offenzulegen, den im Spaghetti-Western behaupteten Mythos des Amerikanismus mit der cineastischen Simulation im osteuropäischen Jugoslawien zu kontrastieren.

Text erschienen in:
Harald Szeemann (Hg.), D'apertutto, Katalog Biennale Venedig, Venedig 1999