Samuel Herzog

Grosse Erwartungen am Kap der Guten Hoffnung


Zeitgenössische Kunst in Cape Town und Umgebung: viele Räume, viele Ideen - wenig Geld

   In Cape Town und Umgebung herrscht Aufbruchstimmung: Die Erwartungen sind gross, manche Pläne fast verwegen. An Institutionen und Ideen fehlt es nicht - nur sind die Mittel ziemlich knapp.  Ein Augenschein vor Ort und ein Besuch in Glen Carlou, wo der Schweizer Sammler Donald Hess kürzlich ein kleines Museum eröffnet hat.

   Für einige Augenblicke lockert sich die dichte Wolkenformation, die seit Tagen von heftigen Winden über die Südspitze des afrikanischen Kontinents getrieben wird. Aus dem Grau bricht ein Sonnenstrahl und fällt durch grosse Fenster schräg in die Industriehalle an der Commercial Street 26 im östlichen Kapstadt ein. Das Licht trifft auf eine Installation aus Steinen, die an feinen Fäden im Raum schweben, wandert weiter über zwei Computer, einen übervollen Ascher und Bierdosen, um schliesslich auf den Kopf eines Hundes zu treffen, der hingebungsvoll an einer stilisierten Frauenfigur aus dunklem Holz nagt. Für einen Moment hebt das Tier den Kopf und lässt ein imposantes Gebiss sehen - sogleich aber stürzt es sich wieder auf sein Kunstwerk, haut kräftig die Zähne rein.

   Solche Holzfiguren, farbenfrohe Malereien und Basteleien aus industriellem Verpackungsmaterial stellen das dar, was als «typisch afrikanische» Kunst in Massen den Kontinent verlässt. Auch im Zentrum von Cape Town gibt es kaum eine Strassenecke, an der keine «Stammeskunst» feilgeboten wird. Der Umstand, dass ein Grossteil dieser Ware heute in China hergestellt wird, scheint den Verkauf kaum zu stören. Geschickt geben einem manche Händler ja auch das Gefühl, dass es an einen rassistischen Akt grenzt, wenn man ihr Geschäft ohne eine stilisierte Giraffe unterm Arm verlässt.

Kaum private Sponsoren

   Nebst all dieser «Airport Art», wie sie nicht nur diesen Hund beschäftigt, sondern auch das Strassenbild im Stadtzentrum prägt, gibt es in Cape Town auch eine aktive Kunstszene - und manche Institution, die sich für Gegenwärtiges engagiert. An erster Stelle steht hier die Nationalgalerie, die über wunderbare Räume in den Company Gardens verfügt und sich seit 1990 auf das Sammeln zeitgenössischer Kunst aus Afrika konzentriert. Eine solche Institution ist immer noch einzigartig im ganzen Land - leider aber verfügt sie nur über ein sehr reduziertes Budget. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass die derzeitige Ausstellung einigermassen verstaubt daherkommt. «Second to None» will dem Kampf der Frauen um Gleichberechtigung ein Denkmal setzen - eigentlich erstaunlich, dass sich für ein Projekt mit dieser Thematik keine Sponsoren haben finden lassen. Die in Südafrika ansässigen Firmen seien leider nur an der Unterstützung von Ausstellungen interessiert, die ein grösseres Publikum anzögen, erklärt Emma Bedford, die seit Jahren schon als Kuratorin die Geschicke der Galerie mitbestimmt.

   Jetzt kracht es laut zwischen den Zähnen des Tierchens mit dem Riesengebiss. «Ich hoffe ja, dass er bessere Kunst daraus macht», lacht Christian Nerf, krault seinem Hund mit der einen Hand den Kopf, packt mit der anderen die Figur und wirft sie quer durch die grosse Halle, die er mit zwei weiteren Künstlern als Arbeitsraum nutzt. An Platz für Ateliers oder auch für Kunsträume fehlt es nicht in Kapstadt - ein Problem sind eher die oft kurzfristigen Verträge. Trotzdem hat auch manch kleinere Institution bereits eine respektable Geschichte. Die Association For Visual Arts (AVA) zum Beispiel, die schon seit 1971 in einem Haus an der Church Street mitten im Herzen der Stadt aktiv ist. Fast alle Künstler aus Südafrika stellen im Verlauf ihrer Karriere irgendwann in der AVA aus - und sei es auch nur im Rahmen einer Gruppenschau wie der gegenwärtigen Public Sculpture Competition. Auch in der Michaelis Art Gallery oder im Gold of Africa Museum werden immer wieder Zeitgenossen präsentiert. Daneben gibt es jüngere Non-Profit-Galerien wie zum Beispiel «What if the world . . .» oder «Blank Projects», das von Jonathan Garnham aus Berlin betrieben wird.

   Auf der Jagd nach seinem Stammeskunstknochen rast der Hund mit Gerumpel in die Türe des grossen Panzerschranks hinein, den Christian Nerf von der Firma übernehmen konnte, die hier früher Bettwaren für den Hotelbedarf herstellte. «Praktisch ist das schon», meint Nerf, denn das Gebäude sei nicht gesichert. Und in einem Land, wo die Armut nach wie vor gross ist, kann fast alles zur Beute von Dieben werden.

   Das hat man kürzlich auch auf dem Weingut von Glen Carlou erfahren müssen, wo Räuber einen halben Weinberg zerstörten - bloss, um an ein paar Meter Telefondraht zu kommen, den sie via Schwarzmarkt nach China verkaufen können. Im Verwaltungsgebäude von Glen Carlou hat der Schweizer Unternehmer und Sammler Donald Hess vor wenigen Tagen einen professionell ausgestatteten Kunstraum eröffnet, in dem er künftig Ausschnitte seiner renommierten Sammlung zeigen will. Zum Auftakt hat Myrta Steiner, die Kuratorin der Hess Collection, eine Schau mit Werken von Deryck Healey (1937-2004) und Andy Goldsworthy (geb. 1956) eingerichtet. Von Goldsworthy gibt es hauptsächlich neun grosse «Snowball Drawings» zu sehen. Diese Zeichnungen in verschiedenen Brauntönen kamen dadurch zustande, dass der Künstler auf grossen Blättern Schneebälle schmelzen liess. Der ursprünglich aus Durban stammende Healey ist mit einer ganzen Reihe seiner geheimnisvollen Werke vertreten, die zu einem grossen Teil auf südafrikanische Themen anspielen. Von politischem Engagement erzählt eine Installation mit dem Titel «Are Black Heads White». Durch Übermalung hat Healey die Köpfe von Porträtierten in Daumenabdrücke verwandelt - eine Erinnerung daran, dass viele Schwarze bei den ersten Wahlen ihre Papiere mit einem Fingerabdruck signieren mussten.

Kleine Künstlergemeinde

   Die Panzertüre des Tresors hat das Hundetier offenbar kaum irritiert. Stolz trottet es durch das Atelier - das kleine Schwänzchen keck in die Luft gekringelt und das werdende Kunstwerk zwischen den Fängen. Auch ein Hund, selbst einer mit Riesenkiefer, lebt eben nicht vom Brot allein.

   Private Initiativen sind wichtig in einem Land, das für Kultur nur wenig Mittel zur Verfügung stellen kann: Wo sie fehlen, werden Dinge mitunter verhindert. Als Beispiel kann hier «Trans Cape» dienen - eine Biennale für Cape Town, die im September hätte eröffnet werden sollen. Wegen mangelnder Mittel musste der Anlass in letzter Minute um Monate verschoben werden.

   Plötzlich scheint der Hund das Interesse an seiner Skulptur verloren zu haben - und zerrt mit Lust am Hosenbein von Ed Young, der gerade einen Text von Kathryn Smith für einen Katalog von Daniel Halter bearbeitet. Es ist letztlich eine eher kleine Künstlergemeinde, die in Cape Town über die Runden zu kommen versucht - da werden Projekte oft als Zusammenarbeit angegangen. Derzeit steht Halter am meisten unter Druck, eröffnet er doch am 6. September eine Ausstellung in der Galerie von João Ferreira. Auf zeitgenössische Kunst haben sich ferner Michael Stevenson und Brendon Bell-Roberts spezialisiert. Letzterer publiziert zudem die renommierte Zeitschrift «Art Southafrica». Informationen über die Kunstszene Südafrikas findet man ausserdem auf der von der Künstlerin Sue Williamson betreuten Website www.artthrob.co.za. Hier wird auch zu erfahren sein, wann der neueste Kunstraum, «The Bin», eröffnet wird und wie es mit «Trans Cape» weitergeht - nur über das Gebiss auf vier Pfoten von Christian Nerf liest man hier nichts, obwohl die kleine Plastik durch die kanine Kieferarbeit zumindest geheimnisvoller geworden ist.

   Der Hund ist übrigens nicht der Einzige, der sich mit «Airport Art» beschäftigt. Auch Brett Murray hat sich in diese Kunst verbissen. Auf der Waterkant, mitten im Geschäftsviertel von Kapstadt, hat er ein mannshohes Totem aufgestellt. Aus der Figur allerdings ragen gelb und schrill sieben Porträts von Bart Simpson. Einen Namen hat die freche Plastik nicht: Der Wind aus Südwesten aber, der die Wolkendecke über dem Kap auseinanderreisst, wird «Cape Doctor» genannt, weil er die schlechte Luft aus der Stadt vertreibt. Und der Hund, der heisst Macguffin.


erschienen in NZZ, Donnerstag, 07.09.2006 / 45