Peter Kraut

Powerbookintensitäten mit viel DSP Feingefühl

Das Sprechen über neue elektronische Popmusik ist schon lange an seine Grenzen gestossen, eine nachvollziehbare Kritik, die auf einen verbindlichen Begriffsapparat zurückgreifen könnte, existiert kaum. Mit einem Mix aus Szenenslang und Computertalk wird versucht, die Unübersichtlichkeit sprachlich in den Griff zu kriegen.

"Es loopt aus der linken Ecke", "trockener Sequenzerfunk" folgt auf "dubbig zerbröselte Tracks", "flackernd tribal-virtueller Techno" und "plinkernde Breaks mit viel DSP Feingefühl" kontrastieren mit "Powerbookintensitäten" und einem Stück, das bloss "vordergründig vocodert". Wer was auf sich hält, hört "Hy on Honky" von Epy, denn das ist "aufgeplusterte Chipmusik für Funkfreaks mit Attitude durch und durch." So beschreibt das neue Monatsmagazin "de:bug. Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte" elektronische Popmusik. Es wimmelt von clicks, cuts und glitches, die Tracks sind deep, fett, organisch, housig oder dark. Über die Musik selbst erfährt man wenig, mehr dafür über den modisch imprägnierten Schreibstil der Rezensenten. Wer wirklich wissen will, wie diese Platten klingen, muss über einige Zeit hinweg Hör- und Sprachvergleiche anstellen, um den minimalen Informationswert in brauchbare Kauftipps zu übersetzen. Eine für den Durchschnittskonsumenten nachvollziehbare sprachliche Vermittlung findet nicht statt. Kaum besser steht es bei den Vertrieben, welche die Produkte in den richtigen Kanal lenken müssen, damit diese in den Läden sinnvoll eingeordnet werden können: "electronic", "digital abstract", "minimal techno" und "experimental/ambient" waren die Kategorien eines Schweizer Vertriebes letzten Monat – inzwischen haben sie schon wieder geändert. Der Poptheoretiker Diedrich Diedrichsen spricht in diesem Zusammenhang von der "Semantisierung des technischen Vokabulars". Bei elektronischer Musik werde weniger beschrieben, "wie es klingt", sondern eher "wie es gemacht wird", allerdings mit ständigen Verweisen auf die Szenekultur. So etabliert sich ein hermetischer, cooler und selbstverliebter Slang, der Computerterminologie, Partyfloskeln, Amerikanismen und allenfalls einen Schuss Sozialphilosophie kurzschliesst.

Urbaner Soundtrack
Dass die Möglichkeiten der Sprache musikalischen Phänomenen nur unzulänglich folgen, ist nichts Neues – neu ist höchstens, dass die gegenwärtige Popkritik fast jeden aufklärerischen Anspruch aufgegeben hat und sich zunehmend so verhält, als sei sie bloss noch Bedienungsanleitung für die akustische Lifestyle-Gestaltung. Angepeilt wird die Beschreibung eines schwammig definierten Erlebniswertes für den trendbewussten Hörer. Das hat nicht nur mit dem jungen Zielpublikum von de:bug zu tun, sondern liegt auch an der Musik selbst. Das weite Feld elektronischer Musik, die sich selten noch auf identifizierbare Personen zurückführen lässt (denn hier liessen sich allenfalls noch Geschichten erzählen), entstammt einem unfassbaren Produktionsraum, beschäftigt sich vor allem mit abstrakten, synthetischen Klängen, ist nicht narrativ und oft nicht mehr beat-orientiert. Solche Musik verkörpert eher gewisse Gefühlszustände, hat hohen Szene-Gebrauchswert. Sie erinnert an den Soundtrack unserer urbanen Umgebung und schafft so – als "anti-essentialistischer Funk", wie es ein Werbetext von "Mille Plateaux" beschreibt – die coole Verbindung zum täglichen Leben. Da bleibt wenig Distanz, um im schnellen Journalismus über Herkunft, Absicht und Bedeutung solcher Musik zu sinnieren, über die klassischen Kriterien also, die zu diskutieren wären.

Die Rhetorik des Pfiffigen
Ein weiterer Grund für dieses Defizit besteht im Überangebot. Seit der Markt wegen der billigen Produktionsmethoden mit Electronica überschwemmt wird, fehlen die Mittel und Begriffe, um zweifelsfrei Qualität zu identifizieren. Alles steht unter permanentem Popverdacht und Jugendlichkeitsdruck, könnte womöglich Erfolg haben, selbst die exotischsten Mixturen. Oder hätte jemand vor zwei Jahren gedacht, dass aus der faden Produktion von Atom Heart plötzlich südamerikanische Kraftwerkcovers auftauchen und in höchsten Tönen gelobt werden, nur weil alles perfekt gesampelt ist? Wie dem auch sei: gut ist, was Erfolg hat, danach bleibt noch genügend Zeit, die Begründung nachzuliefern. Und das tun die Kritiker, die – ein altes Problem – meist selbst Teil des Systems sind, sei dies als Fan, Musiker, Produzent oder in sonstwelchen Verbindungen. Ebenso alt ist aber die Einsicht, dass man als Teil des Systems dieses nicht wirklich kritisieren kann. Aber auch die Gegenseite läuft oft ins Leere: wenn sich akademische Kreise dem Thema annehmen, kann es beispielsweise zu Terre Thaemlitz heissen: "... ein Synthesizer mit Piano-Samples mit emotional desengagiertem Repetitionsdrang", "Uneindeutigkeit hinsichtlich der erotischen Codierung", "maschinen-exotische Regionen digitalisierter Klanglichkeit", um dann zum Schluss zu kommen: "Diese Musik bleibt Musik pur, aber sie fordert in ihrer Beschaffenheit dazu heraus, ihre Einbettung wie die ihrer Produzenten und Hörer zwischen den sozialisierenden Kräften dominanter Kultur&Politik einerseits und individueller Entäusserung andererseits offen zu reflektieren." Das ist gut gebrüllt, alleine, was soll man damit anfangen? Wird mit solchen Aussagen die Musik wirklich in ihrem sozialen Umfeld verortet, wie es der Text vorgibt? Und wollen die Musiker mit ihren Produkten überhaupt am theoretischen Diskurs teilnehmen, wie ihnen per Interpretation unterstellt wird? Man darf nicht vergessen: Diese Musik entsteht überwiegend in der hochtechnologisierten Bastelecke von alerten Zeitgeistsurfern, die ein feines Sensorium für die Anforderungen des Unterhaltungsmarktes haben und nicht im Versuchslabor von jungen Elektronikingenieuren oder dissertierenden Geistesarbeitern. Also soll man die Sache auch nicht überinterpretieren und interessanter machen, als sie ist. Gerade wenn es sich um Pop handelt – auch wenn dieser Begriff heute weiter reicht denn je – sind Spass und Konsumierbarkeit nach wie vor bestimmende Elemente. Die Frage ist demnach erlaubt, wieviel man zurecht in diese Musik hineindenken soll. Testcard, eine Halbjahresschrift, die krampfhaft die Kritische Theorie im Popdiskurs des neuen Jahrtausends am Leben erhalten will, probiert den Mittelweg, gibt sich jugendlich und kritisch, kommt aber oft nicht übers Jammern hinaus. Bei der Krise der Popkritik nerve vorab die "krude Rhetorik des Pfiffigen" und Testcard hält fest: "(...) im Popdiskurs hat sich die Position des Faktischen behauptet. Kritik heisst nicht mehr, Widersprüche freizulegen, auszutragen und sprachlich zu verschärfen; vielmehr wird von Widersprüchen abgesehen (...) aber in der Sprache der Scheinradikalität."

In der Logo-Konkurrenz
Auch wenn die Sprache der rasenden Entwicklung ständig hinterherhoppelt: eine mögliche, allerdings nicht auf argumentativer Linie bauende Sichtweise gibt es, um die grosse Unübersichtlichkeit auf ein erträgliches Mass zu reduzieren: Label-Identitäten bürgen für gewisse ästhetische Konturen. Je flüchtiger die Personen hinter der Musik, umso wichtiger die kuratorische Basis eines Labels oder Verlages, der Musik veröffentlicht: Mego, Ninja Tune, Scape, Warp, Kanzleramt oder Force Inc. stehen je für gewisse Tendenzen – sowohl musikalisch wie visuell – an die man sich halten kann, hat man sich denn einmal damit befasst. Zwar überlässt man so bis zu einem gewissen Grade den Labels die Entscheidung, was denn nun die Musik der Stunde sei. Das hat aber den Vorteil, das man diese immer auch als Teil eines umfassenderen Unterhaltungsmarktes wahrnimmt, der permanent Logos und Brand Names neu bewertet. Und das ist vielleicht einfacher, als wenn man sich einen "Oldschoolkiller mit bleepigem Unterton und völlig zertrümmertem Timestretchsound" vorstellen muss.