Rayelle Niemann

Das Gesetz der Langsamkeit -
Ein unvollständiger Blick auf eine lange Geschichte und ihre mögliche Zukunft


Namen von Künstlerinnen müssen heute nicht mehr wie Stecknadeln im Heuhaufen (Kunstbetrieb) gesucht werden. Es ist eine mutige Generation von Frauen herangewachsen, die selbstbewusst künstlerische Strategien mit grossem Qualitätsanspruch entwickelt. Frauen haben führende Positionen in Kunstmuseen, -hallen und vereinen inne, Kunsthistorikerinnen scheint es wie Sand am Meer zu geben und oft sind 2/3 der Studierenden an Kunsthochschulen Frauen.
Alles bestens, alles rosig?

In Gesprächen mit weiblichen Kunstschaffenden kommt immer wieder zum Ausdruck, dass sich zwar seit den siebziger Jahren sehr viel zum Positiven verändert hat, dass aber Einzelausstellungen von Künstlerinnen in grossen Häusern nach wie vor eher Seltenheit sind. Künstlerinnen werden vermehrt zu Gruppenausstellungen eingeladen und dürfen "auch mal den vierten Stock" bespielen, die meisten Monographien jedoch sind Künstlern gewidmet.
Solche Einwände werden nicht gerne gehört. "Was wollt ihr denn?" heisst es dann. Ist Kritik überhaupt noch berechtigt? Es ist zu spüren, dass es mit der Aufbruchsstimmung, die Anfang der 90er die Szene belebte, vorbei ist. Wir geben uns zufrieden... aber - es reicht noch lange nicht. Was ist passiert z.B. seit der grossen hitzigen Diskussion im Kunsthaus Aarau, zu der die Kunstkritikerin Annelies Zwez 1995 einlud, um Fragen nach Selbstverständlichkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter in der Kunst nachzugehen?

Theoretische Ansätze, feministische Institutionskritik und gender-studies, die für viele künstlerische Positionen der neunziger Jahre diskursbestimmend waren, ermöglichten einen umfassenden "anderen" Blick auf den weiblichen wie auf den männlichen Körper. Auseinandersetzungen mit AIDS, homosexuellen Realitäten und Lebensentwürfe, den aufkommenden realen Möglichkeiten der Gentechnolgie und mit Globalisierungsstrukturen dekonstruierten und hinterfragten traditionelle Identitätsmodelle. All diesen Themen wird heute eine gewisse Müdigkeit entgegengebracht, Diskurse sind differenzierter geworden. Die von Frauen seit den siebziger Jahren vorangetriebene Identitätsdebatte hat sich überholt. Historisch und kunstgeschichtlich ist die Situation von Frauen aufgearbeitet, die Tragik des Defizits ausgelebt. Künstlerinnen der "ersten Stunde" sind nicht mehr bereit, weiter kämpferisch Wege zu pfaden, während junge Künstlerinnen sich ohne grosses Geschichtsbewusstsein auf Selbstverständlichkeiten berufen. Zwar thematisieren sie nach wie vor weit öfter den eigenen Körper und das Spannungsverhältnis der Geschlechter als ihre männlichen Kollegen, doch orientieren sie sich heute an weiblichen Vorbildern, die nicht im Dunstkreis feministischer Theorien praktizieren. Die Schnelllebigkeit der heutigen Kunstszene macht Künstlerinnen wie Pipilotti Rist mit ihren knapp 40 Jahren bereits zu "Mutterfiguren".
Eine Veranstaltungsreihe wie "erotisch aber indiskret", 1996 initiiert von Sabina Baumann, Cristina della Giustina und Lilian Räber, die das Spannungsfeld weiblicher Sexualität und männlichem Blick mit künstlerischen/theoretischen Positionen von Frauen thematisierte und viele spannende Diskussionen auslöste, würde heute wohl kaum mehr Gemüter erhitzen.
Geschlechtspezifische Widersprüche spiegeln sich in der Sammlungs- und Verkaufspraxis. So werden Werke von Künstlerinnen seltener an Privatpersonen verkauft als Arbeiten von Männern - Frauen haben immer noch weniger Geld. Das Angebot für männliche Identifikationen ist grösser, Künstler arbeiten schneller, sind konsequenter in ihrer Karriereplanung, während Frauen soziale Verantwortungen wichtiger nehmen, eingespannter und vielseitiger besetzt sind als Männer, dementsprechend langsamer in ihren Produktionsprozessen, vielleicht sich auch (immer noch) mehr hinterfragen.
Die Ankaufspolitik von Museen ist retrospektiv. Auch hier ist zu konstatieren, dass mehr Werke von Künstlern angekauft werden als von Künstlerinnen. Das wirft erneut die Frage auf, wer schlussendlich Geschichte schreiben wird, Geschichte macht. Hinzu kommt, dass ein immenser Nachholbedarf für öffentliche (und private) Sammlungen besteht, Werke von Künstlerinnen anzukaufen, dem kaum nachzukommen ist.
Das Frauenmuseum in Bonn feiert dieses Jahr sein 20jähriges Bestehen und hat einen sicheren Platz in der Ausstellungslandschaft, obwohl es nach wie vor nicht zu den renomierten Häusern gehört, sich aber mit stetig wachsendem Publikum neben der arrivierten internationalen Kunstszene ein sicheres Gleis aufbauen konnte. Im Jahre 2000 wurde in Berlin in Zusammenarbeit mit der Kommunalen Galerie eine Dependance eröffnet, "Frauenmuseum Haus Berlin". Auch finden regelmässig Koproduktionen mit internationalen Kuratoren statt, männlichen Kollegen, die selber am Diskurs über Institutionskritik teilnehmen, so die Leiterin Marianne Pitzen. 1987 wurde das "National Museum of Women in the Arts" in Washington von einer Industriellengattin gegründet. Sie reiste durch Amerika und Europa, kaufte für die Sammlung Werke, von Renaissance und Barock bis zur Gegenwart, von Künstlerinnen, die in traditionellen Museen nach wie vor fehlen.
Von Alternativen kann hier nicht die Rede sein.
Es sind weiterhin subversivere Modelle gefragt, bei denen die Qualität von Arbeiten wichtiger ist als eingespielte Kommunikationsstrukturen (Lobbies). Ebenso kann es nicht um die Sensibiliserung auf sogenannte frauenspezifische Themen gehen, da alle gesellschaftsrelevanten Anliegen auch die von Frauen sind.
Wir bleiben dran.

Gespräche mit Barbara Basting, Kunstkritikerin, Sabina Baumann, Künstlerin, Claudia Jolles, Herausgeberin Kunst-Bulletin, Muda Mathis, Künstlerin/Dozentin, Marianne Pitzen, Frauenmuseum Bonn, Patrick Schedler, Galerist, Kristin T.Schnider, Schriftstellerin, Serge Ziegler, Galerist, Annelies Zwez, Kunsthistorikerin

Rote Fabrikzeitung, Zürich
© Rayelle Niemann, Mai 2001