Hans Renggli

Die Absurditäten der professionellen Kunstbewertung

Die Ausstellung "Fleurs" im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen möchte aufzeigen, wie ein verrufenes Thema der Kunst wieder achtbar wurde.

Blumen sind schön, darüber herrscht eine breite Zustimmung. Sie gelten insbesondere jener Mehrheit als selbstverständlich schön, die sich nie oder kaum mit Fragen der Kunst beschäftigt. Wie ungebrochen die Beziehung des Volks zum Blumenschönen ist, bezeugen die Schrebergartenfelder unserer Siedlungen. Es geht etwas wie Ekstase durch das Pflanzenreich, wenn sich die Natur im Blühen zum Höhepunkt der Prachtentfaltung aufschwingt, um sich dann bald im satten Grün zu beruhigen. Als Archetyp und Symbol des Lebens war die Blume aber immer schon auch Motiv der Kunst. Wo der Mensch zu schmücken wünschte, hielt er sich an das Beispiel der Natur. Das immense Reich des Ornamentalen ist entweder geometrisch oder vegetativ. Deshalb ist, sofern sich Kunst als Dienst am Schönen begreift, die Verbindung von Blume und Kunst eine Selbstverständlichkeit.

Nun behauptet aber Markus Stegmann, der die Ausstellung Fleurs konzipiert hat, dass die Blume als Kunstthema von einigen zeitgenössischen Künstlern erst vor kurzem wieder zurückerobert wurde. Stegmann geht also davon aus, dass es in der Kunst so etwas wie ein Blumenverbot gegeben hat. Das ist freilich ein blosse Behauptung, die höchstens dann eine Spur Wahrheit enthält, wenn man den Blick auf ein einziges Segment des Kunstgeschehens
reduziert. Stegmanns Vorstellung von Gegenwartskunst nährt sich allein aus dem Kommunikationsnetz des westlichen Kunstsystems. Dieses produziert einen Markt, der naturgemäss nur dann expandieren und sich erneuern kann, sofern er zyklisch Moden erzeugt. So ist auch die Glut und Genusslust, welche die Kunst jetzt angeblich ergriffen hat und eine neue sinnliche Mentalität verbreite, nicht mehr als eine kleine Mode. Bedeutender ist freilich, dass sie verhängt ist mit jener anderen grosse Mode,
welche die Kunszszene seit Jahren mit ihren Erzeugnissen überschwemmt - dem Boom der Fotobilder.

Sehenswert ist die Ausstellung trotzdem, gerade weil sie die Absurditäten der professionellen Kunstbewertung wunderbar blosslegt. Sie zeigt nämlich nicht allein Arbeiten von 14 ausgewählten Gegenwartskünstlern sondern sucht auch den Dialog zu anderen Exponaten aus dem Bestand des Universalmuseums Allerheiligen. Es handelt sich dabei einerseits um ältere Bilder aus der Kunstsammlung und andererseits um Präparate aus den Herbarien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts der naturkundlichen Abteilung. Obwohl diese "Skelette" von seltenen oder gar ausgestorbenen Pflanzen explizit dem Bereich der Nichtkunst entstammen, vermögen sie die Neugier und die Sinne des Betrachters mindestens ebenso zu fesseln wie die Werke der Kunst. Und sie schaffen partiell auch eine erhellende Beziehung, insbesondere zu den zeichnerischen Arbeiten von Silvia Bächli und Mireille Gros. Die beiden Künstlerinnen zählen zu den wenigen Ausnahmen, die nicht im Medium Fotografie arbeiten. Bächli zeichnet mit dem Pinsel ein wunderbar vielgestaltiges Gewebe von Stengeln und Blütenzeichen und lässt in den weiten Zwischenräume im riesigen Battformat einen grossen Atem walten. Eine verwandte Empfindsamkeit beseelt auch die Arbeiten von Mireille Gross. Ihre Zeichnungen werden in einem kleinen Kabinett präsentiert zusammen mit Exponaten aus einem Moos-Herbar, das ein längst vergessener Herr Schweingruber 1917 in Lugano mit berückender Achtsamkeit erstellt hat. Das feinnervige Ensemble erzeugt den künstlerisch dichtesten Raum der Ausstellung überhaupt.

Im allgemeinen aber herrscht schrille Buntheit vor dank der Überzahl und Dominanz der fotografischen Arbeiten. Besonders die Blumenbilder von Fischli/Weiss, Serge Hasenböhler, Rémy Markovitsch und Irene Naef hinterlassen einen faden Abgang, nachdem man sich zunächst von ihrer plakativen Attraktivität hat betören lassen. Das hat wohl damit zu tun, dass ihnen die gleiche, ermüdende Warenästhetik anhaftet, die wir von den Massenbildern kennen. Im Grunde geht es hier gar nicht um das Thema Blume. Diese bilden bloss das ideale Motiv für die Selbstdarstellung des Mediums, das beim heutigen technischen Stand der Apparate und des Materials in der Tat beeindruckend leistungsfähig ist. Weil gute Bilder heute so leicht zu haben sind, greifen immer mehr Künstler zur Kamera. Doch über den schnellen ästhetischen Kick hinaus auch nachhaltig zu beeindrucken, gelingt den wenigsten.

Bis 30. Juli