Hans Renggli
Kleine Wunder der Richtigkeit
Die walisische Künstlerin Bethan Huws (*1961) bestreitet mit der
Ausstellung ihrer Watercolours im Kunstmuseum Bern sozusagen ein Heimspiel.
Ihre Werk ist seit Jahren Sammlungsschwerpunkt. Ein Drittel der 107 ausgestellten
Aquarelle gehören dem Museum. Eine weise Wahl. Bis 2. Mai
Als ich Bethan Huws, die wunderbar in sich selbst ruhende walisische
Künstlerin im Kunstmuseum Bern fragte, ob ihre Aquarelle als eine Art
Tagebuchnotizen zu verstehen seien, verneinte sie entschieden. Womit sie
die Vorstellung Tagebuch verbinde, hätten sie nichts gemein. Eine Chronik
der täglichen, persönlichen Lebensereignisse sind sie in der Tat
nicht. Doch die Spur ist nicht ganz falsch. Die Dinge nämlich, die
sie - isoliert und zeichenhaft reduziert - zumeist in die Mitte des grossen
weissen Blattraums "schreibt", kommen aus ihrer Biografie und
repräsentieren das Lebensumfeld, mit dem sie sich tief und schicksalhaft
verbunden fühlt: die Landschaft von Wales, Häuser, die sich ihr
früh als Innbilder eingeprägt haben, Orte, wo sie einst spielte
und Objekte aus volkstümlichen Ritualhandlungen, die ihr von Kindheit
geläufig sind. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist ein nach walisischer
Tradition aus einem Grashalm gefertigtes "Boot" mit aufragendem
Mast. Übertragen zum Bildzeichen, das Huws zur reinen Essenz entkörpert,
erzeugen diese Dinge in den intimen Blättern eine Kraft und Bestimmtheit,
die in keinem Verhältnis stehen zu ihrer materiellen Verfassheit nahe
am gehauchten Nichts.
Bethan Huws erforscht die Besetzungen des unbegrenzten Raums, den sie
zunächst und drängend als eine Realität der Innewelt ihres
Körpers erfährt. Und der Kosmos des Körpers umfasst ja nicht
nur komplex organisierte Materie sondern auch Bewusstsein oder präziser
das, was die englische Sprache unübersetzbar als "mind" bezeichnet.
Ihr künstlerisches Anliegen ist es, "places in the mind"
zu sammeln, zu bestimmen und zu artikulieren, weil sie diese als die existentell
notwendigen "Links" begreift, die reale und erfüllende Beziehung
zur Aussenwelt - zu den anderen - überhaupt erst möglich machen.
Insofern Huws Kunst als Selbsterforschung praktiziert, die wesentlich die
Arbeit des Erinnerns biografischer Momente einschliesst, ist ihr Tun dem
Tagebuchschreiben zumindest verwandt. Intimes und Privates haben durchaus
ihren Platz und dienen gewissermassen als Ausgangsorte ihrer imaginären
Reisen. Doch was sie mit ihren Bildzeichen letztlich erfahrbar macht, reicht
weit über das Private hinaus und knüpft an bei tieferliegenden,
allgmeinen, ja mythischen Erfahrungen.
"Nein, es geht nicht einfach um mich", sagt sie, und dann sehr
bestimmt: "it's about art". Dabei irritiert der rauhe Klang -
zugleich befremdlich und nährend - ihrer"keltischen"Aussprache
des Wortes "Art". Ihre Reden von Kunst hallt von einer Zeit her,
die das Wort Kunst weder kannte noch brauchte und die cerebralen Verschraubungen
der zeigenössischen Kunstdiskussion irgendwie ins Lächerliche
zieht. Letzteres ist bestimmt nicht ihre Absicht, begreift sie sich doch
selbst als Teilhaberin am Kunstdiskurs. Doch genau diese Spannung zwischen
der archaischen Volksseele, die in ihr offensichtlich kräftig lebt,
und der raffinerten Reflektierheit ihrer künstlerischen Methode macht
ihre Arbeiten so überzeugend. Die scheinbar beiläufig formulierten,
nicht selten naiven Motive erzeugen noch und noch kleine Wunder der Richtigkeit.
Sie verdanken sich der hohen aber unverkrampften Konzentration, welche die
Künstlerin zu ihrer ausserordentlichen, sensitiven Präzision befähigt.
Katalog 33 Fr.