Hans Renggli
Auf dem Sprung zum Ruhm zu schnell unterwegs
Er wäre heute ein älterer Herr, vielleicht ein internationaler
Kunststar, vielleicht ein Gescheiterter - Spekulationen. Luigi Lurati ist
ewig jung, weil vom Stoff, aus dem Legenden gemacht sind. Das Haus für
konstruktive und konkrete Kunst Zürich widmet seinem kleinen aber hochkarätigen
Werk die zweite Ausstellung nach dessen Wiedererweckung durch das Aargauer
Kunsthaus von 1988. Bis 16. Mai
Die sechziger Jahre inbegriffen - the Sixties inside - betitelt Kuratorin
Elisabeth Grossmann die dritte Einzelausstellung überhaupt des Schweizer
Malers Lugi Lurati (1936 -1967). Lurati ist in der Tat ein typisches Kind
jener Zeit, als die Wirtschaft ungetrübt blühte. Geölt und
einschläfernd schnurrte die Wohlstandsmaschine der Eltern und den Kindern
graute davor, in ihre Fusstapfen zu treten. Luratis Vater war als Italienischer
Gastarbeiter und Maurer zwar einer, dem trotz härtester Arbeit vom
Segen der Konjunktur nur das Nötigste blieb. Ambition zum Aufstieg
in bürgerliche Sphären hatte Lurati trotzdem nicht. Im Gefühl,
dass ohnehin genug für alle da sei, blieb er in der Lebensplanung vage
wie viele seiner Generation.
Abgebrochene Berufslehre, dann Jobs nach Lust und Laune, die überall
wohlfeil waren, zeichnen seine anfängliche Laufbahn. Irgendwann belegt
er Abendkurse an der Kunstgewerbeschule Basel. Er fotografiert etwas, es
geht in Richtung Mode und Lifestyle. Lurati ist ein schöner Mann und
auf die Narzismen der Jungendkultur ansprechbar. Er besucht die einschlägigen
Szenen. Der Kunstkritiker und Basler Generationsgenosse Fritz Billeter
erinnert sich: "Ich sehe ihn vor mir; schlank elegant, immer schwarz
angezogen, vor allem schweigsam. Er lachte nie, heute würde man ihn
cool nennen, die Frauen himmelten ihn an.." Und anderswo wird ihm
nachgesagt: "..seine Verlorenheit, dazu etwas Verborgenes, das über
die Grenze des Zulässigen hinauswies, machten ihn zu einer rätselhaften
Figur"..
Diesem "Verborgenen", das "die Grenze des Zulässigen"
überschritt, muss es zu danken sein, dass die bodenlos absurde Existenz
des Luigi Lurati heute definitiv als ein Kapitel Schweizerischer Kunstgeschichte
figuriert. Bevor er nämlich von der Existenzbühne abtritt, absolviert
er so etwas wie eine Blitzkarriere als Maler und fördert dabei eine
Entschlossenheit zutage, die ihm niemand zugetraut hat. In vier Jahren schafft
er ein gültiges, das Schweizer Niveau sprengendes Werk. Angeregt hat
ihn eine neue amerikanische Spielform der abstrakten Malerei, die als post
painterly abstraction Kunstgeschichte machte. Maler wie Al Held, Ellsworth
Kelly und Frank Stella haben anfangs der sechziger Jahre den indiviudalistischen
Gestus des abstrakten Expressionimus zugunsten einer unpersönlich-geometrischen
Bildsprache verabschiedet. Im sogenannten Hard-Edge Stil entstehen neuartige,
provozierend kühle, signalhafte oder piktogrammähnliche Bildfomulierungen.
Die Bewegung läuft parallel und in Verwandtschaft zur Pop Art, die
auf eine verallgemeinerte, trivialisierte Bildform tendiert.
Nimmt man die kurze Zeit, die Lurati zur Erprobung seiner Mittel zur Verfügung
hatte, fällt das Tempo auf, mit dem er sich zu kühner Selbstbewusstheit
in der Wahl des bildnerischen Vokabulars aufschwingt. Er malt mit explodierender
Freiheit Grossformat für Grossformat. Für Sikzzen und Entwürfe
bleiben ihm bald weder Zeit noch Geduld. Er will die grosse Geste, plakativ,
einsilbig und durchdringend präzis, eine Geste, die so erregend kühl
ist, wie ein Saxaphonklang, der metallisch klagend in den Raum schneidet.
Lurati liebt den Jazz, allen voran John Coltrane, zu dessen Musik er in
langen Nächten, eingenebelt von Tabak- und Potdunst, seine geladenen
Banner gegen den Ennui des Lebens aufrichtet. Alain Schaer, einer der drei
Kunstgeschichtestudenten, die in den achtziger Jahren Luratis Nachlass im
Lager eines Trödlers entdeckten und damit seine posthume Wiedergeburt
einleiteten, zu seinen Bildern: "..sie stehen heute so mächtig
und zeitlos vor uns, als wären sie immer schon dagewesen. Sie sprechen
von Einsamkeit, ... von Liebe und Langeweile, und tragen ihrerseits Wunden
einer eindringlichen Existenz."
1967 ist Lurati auf dem Sprung zum Ruhm und unheimlich schnell unterwegs.
Harry Szeemann lädt ihn zur Teilnahme an "Form der Farbe"
in der Kunsthalle Bern ein. Er wohnt seit kurzem in Paris. Im Sportwagen
macht er sich am 13. April zur Vernissage auf und rast noch in Frankreich
von einer Brücke hinab in den Tod. Er sei zeitlebens mittelos gewesen,
schreiben die Biografen. Wie er das schicke Cabriolet erstanden hat, ist
noch unerforscht.