Werkbesprechung von Reinhard Storz, 1996
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AKKUMULATOR
ein Ausstellungsprojekt in der Filiale Basel (Filiale Erben)
kuratiert von Beat Brogle, Claude Gaçon, Markus Schwander


Dass sich Künstler die Idee einer akkumulativen Werkausstellung ausgedacht haben, scheint kein Zufall zu sein. Die Idee zeigt sich respektlos einem hergebrachten Werkbegriff gegenüber, welcher in der Kunst Authentizität und Identität als hohen Wert setzt und sich das künstlerische Zeugnis eines Autors einzeln und unversehrt wünscht. Das Projekt zwingt die freie Kunst in den Rahmen eines Kommunikationsspiels, in dem sie sich auf eine Vielzahl von Voraussetzungen und Konfrontationen einlassen muss.

Der Akkumulator wendet sich ab von der Ausstellungsbedingung des White Cube, des scheinbar neutralen, weissen Ausstellungsraumes, welcher eine gedächtnislose Stille schaffen will für die Stimme des Künstlers. Im Akkumulator trifft die Künstlerin vielmehr auf ein Stimmen- und Sprachengewirr, aus dem sich laute und leisere Motive herausheben, auf Vorgängerideen, die aufeinander aufbauen, sich miteinander arrangieren oder sich gegenseitig belästigen und verleumden. Jeder nächste Künstler tritt zögernd oder genussvoll als Störenfried auf, bleibt höflich respektvoll oder wendet das Erbe der anderen zu seinen eigenen Zwecken.

Der Akkumulator ist also ein Ort der Anreicherung, des umsichtigen Dialogs und der Vergewaltigung. Er potenziert und synthetisiert. Seine zwei Kammern zeigen Kunst im Überfluss und treiben das Spiel der Promiskuität. Im guten Fall pervertieren sich die einzelnen Werkschichten polymorph, ein blosses Tête à Tête ist ihnen zu wenig, reine Narzismen gehen schief.

Die Spielregeln des Akkumulators erlauben scheinbar alles. Die KünstlerInnen dürfen Werkteile ihrer Vorgänger verändern, überarbeiten und zerstören.
So liess der erste Künstler den einen Raum in seinem abgenutzten Zustand, den anderen renovierte er und bohnerte den Parkettboden. Ein zwar sinnvolles aber hoffnungsloses Vorgehen, denn die folgende Künstlerin annektierte den geputzten wie den schmutzigen Boden und bedeckte sie mit einer Lehmschicht. Ein späterer Künstler sprach gleich von Kannibalismus. An Boden und Decke entwarf er neue Oberflächen, bedeckte den Lehmboden mit Zeitschriften und liess Ballone unter die Decke steigen, welche der Deckenmalerei einer Vorläuferin - genagelte Wölkchen - vorübergehend den Garaus machten. Doch den bunten Ballonen sah man ihren Hang zum Masochismus schon von unten an. Bald verging ihnen das Gas, sie kamen nieder und lagen schliesslich am Boden wie geschrumpfte Hodensäcke. Sie zeigten sich als Opfer, noch bevor ein nächster Täter in der Türe erschien. Der legte dann den Lehmboden wieder frei, schnitt aus den Titelseiten der Zeitschriften Gesichter aus und klebte sie als Overall-Muster an die Wand.
Momentan sind die Wände im einen Raum samt den Gesichtern rosa-lasierend übermalt, ein mit weisser Watte überzogenes Kinderbett steht auf Lehm, unberührt sauber, weiss, unschuldig. Und übt doch wieder Zwang aus: Das fiese Unschuldsbett drängt seine eigene Beschmutzung regelrecht auf, das Opfer hält die Täterrolle für die folgenden Künstler schon bereit, als Schänder seiner Reinheit.

Der Akkumulator erzählt eine Geschichte des Dialogs und der Unterwerfung. Und er erzählt Geschichte als Polyphonie und Folge von Textüberschreibungen, ein verschwenderisches, gequältes und schillerndes Gedicht. In vitro entwirft er eine eigene, unvorhersehbare Kunstgeschichte, in der die Stilabfolgen und Sedimentierungsvorgänge extrem beschleunigt sind.