Reinhard Storz

Etoy's Toywar


Der Prozess Etoys.com gegen Etoy.com
Der Gerichtsprozess des US-Spielzeugherstellers Etoys gegen die Schweizer Künstlergruppe Etoy hat am 25.1.00 mit einem Klagerückzug durch die Kalifornische Firma ein definitives Ende gefunden. Streitpunkt war der fast gleich lautende Name und die mögliche Verwechslung bei der Anwahl der Internetadresse. Da der Konzern seine Internet-Domain erst 2 Jahre nach der Künstlergruppe anmeldete, versuchte er die Kunstinhalte von etoy vor Gericht als kriminell darzustellen. Erste Folge war eine einstweilige Verfügung, welche etoy bis zum Urteilsspruch die Benutzung ihres Namens in Web- und Email-Adresse untersagte. Zweite Folge war eine massive internationale Unterstützungskampagne für die Schweizer Künstlergruppe.

Dazu zwei Gedanken:
Die internationale "Net Community" ist im Medienstreit gegen eine finanziell potente Firma nicht machtlos. Wie weit Sabotageattacken auf die Firmenserver wie beabsichtigt den Aktienrückgang von etoys.com mitbewirkt haben, lässt sich zwar kaum eruieren. Auch die virtuellen Sit-ins des Electronic Disturbance Theater, welche mit einer Software zum permanenten Seitenaufruf der Website von Etoys.com deren Server zu blockieren versuchten, werden in ihrer Wirkung je nach Quelle als wirkungsvoll oder wirkungslos beschrieben. Immerhin führten sie aber zu einer Gegenreaktion: die Seite wurde per Gerichtsentscheid vom Netz genommen, nachdem zuerst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für 13 Stunden der Zugang zu ihrem Host, der prominenten Kunst-Site Thing.net blockiert worden war.
Nicht zu unterschätzen ist aber sicher die Medienpräsenz der Online-Community, welche im Internet über Websites, Newsgroups, Email-Aktionen und unterstützt durch prominente Berichterstattung in den US-Printmedien und durch renommierte Kunstinstitutionen wie das Museum of Modern Art New York gegen die juristischen Attacken des Etoys-Konzerns angetreten ist.
Andererseits zeigt der Prozess, wie nach neuen US-Verordnungen Firmen mit grossem juristischem Budget nicht-kommerzielle Label in kräfteraubende Prozesse um das Recht auf Domain-Namen verwickeln können, selbst wenn diese, wie etoy, ihren Namen bereits 2 Jahre vor dem Kläger registrieren liessen. Die Gerichtsverfügung, die Künstlergruppe dürfe bis zum Prozessurteil ihre bekannte Webadresse (www.etoy.com) und ihre Email-Adressen nicht mehr benützen, bedeutet konkret, dass der Zugang zu ihrem virtuellen Aktionsraum für Wochen oder Monate zugemauert bleibt. Und der virtuelle Aktionsraum ist für etoy der wirkliche.
Prozesse um das Recht auf Domain-Namen, geführt von Grossfirmen gegen Künstlergruppen, gibt es unterdessen eine ganze Reihe. (www.rtmark.com) Doch die wenigsten Kunstgruppen finden eine breite öffentliche Unterstützung. Insofern hat der Etoy-Fall exemplarische Bedeutung.

Toywar
Von seiten der Künstler- und Aktivistengruppen, welche sich im Etoy-Fall engagieren, (neben etoy und RtMark soll auch Mark Pauline von den Survival Research Laboratories mitwirken), ist der Kampf gegen die Firma Etoys aber noch nicht beendet. Seit Dezember 99 bauen sie die Website www.toywar.com auf, welche bis zum Moment, in dem etoy ihren Domain-Name wieder frei benutzen darf, weiter aktiv bleiben soll.

Das Netzprojekt Toywar ist nach dem Muster eines Kriegsspiels organisiert. Bis mitte Januar 2000 wurde eine Elitekampftruppe von 700 Agenten (Offizieren?) rekrutiert, welche durch Bilder von Playmobil-Figürchen repräsentiert werden. Dazu forderten die international gut vernetzten Organisatoren 700 Netzaktivisten und -künstler per Email auf, dieser Truppe beizutreten: "...as a close friend of etoy and important toysoldier you get the special right to be recruited as one of the TOY-AGENTS...". Dann musste man in einem Bewerbungsschreiben seine "special skills" für den Netzkrieg nennen und einige ironische Fragen zur eigenen Persönlichkeit beantworten (Have you ever killed anyone, or at least thought about it. Or have you ever dreamed of being the opposite
sex? Did you ever wake up at night and realize you had real sick dreams?)
Erst nach den richtigen Antworten (ja ist glaubwürdiger als nein) wurde man als Agent akzeptiert - oder eben nicht. Den Agenten wurden von der Spielleitung schon bei der Anfrage Punktzahlen in Form von Etoy-Shares zugeteilt, offensichtlich wiederum nach abgestufter Wertschätzung. Die einen erhielten 60 Pts. oder mehr, die anderen bloss 10 Pts. So kann man sich als Springer oder Bauer fühlen, als Spieler und Spielfigur.

Ein Zusatzpassus definiert die Spielabsicht: The TOYWAR.com(munity) is not about real war. this game was not designed to hurt anybody or to cause damage. it is a piece of net art and a documentation of the legendary fight of the internet community against greed and bulldozing online. the goal is to learn more about power and playful resistance.
Auf der Website ist die Absicht handfester beschrieben: The TOYWAR.army will keep up the pressure till we know that the other side is really dropping this lawsuit....." Und RtMark als Koproduzent des Spiels (rtmark.com/etoy) nennt als Ziel, mit allen Methoden ausser Gewalt gegen Personen die Aktien der Firma Etoys.com bis auf $0.00 herunter zu bringen. (Für die bisherigen Verluste werden je nach Quelle Zahlen zwischen 30% bis 70% genannt.) Als fröhlicher Schlusssatz steht: See you on the battlefield!

Der Jargon auf Toywar.com ist der der Wargames, also der des Krieges im Comic-Stil. Die kritische Scheu der älteren Generationen diesem Vokabular gegenüber scheint für die jungen Künstler kein Problem darzustellen. Hier geht es um paramilitärische Hierarchien, technische Hinweise auf FULL WEAPON PERFORMANCE und um Kampfrufe wie Kill the bastards! Die Agenten tragen Kriegsnamen wie Rap-Musiker oder Comic-Figuren. Unterdessen dürfen auch nichteingeladenen Freiwillige sich für die 2. Reihe im Toywar bewerben: "if you want agent.X to be your recruiter please send him/her a RADIO message."
Die internationale Netzgemeinschaft, Abteilung Kultur und Netzaktion, fiebert in Begeisterung. Es geht ums Dazugehören, und es geht um den Kick, durch soziales und technisches Knowhow dem kapitalistischen Gegner zumindest partiell die Stirne zu bieten.

Aus kunsttheoretischer Sicht geht es auch um eine Reanimation der modernen politischen Kunstutopien, etwa Guy Debords Idee einer poetischen Politik in den späten 50er Jahren, der konkreten Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft.
Auch bei Toywar ist poetische Politaktion gemeint, denn die digitale Spielästhetik und -Narration hat heute den vermutlich einflussreichsten und grössten Poetikausstoss. Eine konkrete Lebensumgebung, wie sie die Internationalen Situationisten verstanden, ist für die Net Community das Web allemal. Im Gegensatz zu den intellektuellen Versuchen in den 90er Jahren, Kunst und Kapitalismuskritik zu verbinden, verzichtet Toywar (und auch die meiste Berichterstattung) aber auf theoretische Analyse. Damit werden sie mehrheitsfähig, ihr Spiel ist interaktiver Pop.
"Wir sehen uns nicht als politische Aktivisten", stellt die Künstlergruppe Etoy fest. "Freiheitshelden des Internet wollen wir nicht sein. Es war die Community, welche gekämpft hat. Wir waren nur glücklich, dass sie unsere Kunst mögen. Aber wir wollen Wirkung erzielen. Toywar zeigt gut, was wir mit unserer Kunst wollen, weil es ein lebendiges System ist. Wir haben keine Ahnung, was die Leute machen, wenn sie sich im Spiel treffen. Sie sprechen miteinander, sie können sich austauschen."

In der Spielkommunikation von Toywar gibt es eine diffuse Überblendung von symbolischer und tatsächlicher Kampfebene. Die geläufige Rede von Virtualität und Immaterialität im Zusammenhang mit Netzaktivitäten verharmlost die Wirkung. Das wissen die Netzkünstler selbst genau. Aggressive Netzaktionen, die auf Sabotage zielen, sind so real wie Bomben. Sie sind nicht "Toy Bombs", von denen das Spiel spricht, es sei denn, dieser Begriff (Vorschlag: eToy Bomb) würde sich durchsetzen, wie einst der Begriff des Molotov Coctails. Sicher war dem Kalifornischen Gericht aber auch nicht klar, welch fatale Wirkung das Verbot der Web- und Email-Adresse für eine primär im Netz agierende Künstlergruppe haben könnte. Es hat den Zugang per Verdikt zugemauert, nun fallen Toy Bombs.

Webadressen:
www.etoy.com
http://www.toywar.com
http://www.rtmark.com/etoy.html
Hinweis: Am 11. März um 14.00 Uhr trifft man Mitglieder von etoy in einer Diskussionsrunde zur Ausstellung "Lowtech" in der Shedhalle Zürich

Erschienen in der Basler Zeitung am Donnerstag, 10. Februar 2000