Der Puppenspieler

Der Angler ist ein Puppenspieler. Sein Fliegenköder an der Angel spielt dem Fisch das Drama Ins Wasser fallende Mücke vor.
Der Fisch soll an das Schaustück glauben. Er wird dazu verführt. Gelingt die Verführung, muss der Fisch dran glauben: Am Hacken hängend ist er Hauptfigur des Dramas, sein Schicksal ist der Tod. Die Lust auf Fliege führt ihn in die Hand des Anglers.

Der Köder ist eine Fliegenskulptur. Die macht sich der Angler aus den Federchen entfernter und naher Vögel. So geht die Evolutionsgeschichte: Die Vögel wurzeln in den Fischen, die Federn in den Schuppen. Auf Federn fallen Fische herein.
Der Fischer schätzt die Tradition. Er kennt Fischrezepte und Köderrezepte. Seine Fliegen baut er aus den Brustfedern des Zilpzalps und des Bussards, die Bachforelle brät er in Butter und Dill.

Die Fliegenskulptur versieht der Angler mit einem Hacken. Verzichtet er auf den Hacken und mimt dem Fisch die Fliege zum reinen Spiel, dann ist der Angler kein Angler, sondern ein Entertainer für schliesslich frustrierte Fische. Der Angler will die Fische aber nicht unterhalten und frustrieren, er will sie töten und essen. Er will den Fischleib in seinen Fischerleib verwandeln.

Der Angler versieht den Fliegenköder mit einem Hacken und steuert ihn an der Angelrute zum Wohnort des Fisches. Als Fischverführer verwandelt sich der Fischer nun in die Mücke.
Im Köder mimt er sie. Er gibt ihr die Bewegung, den Fall und das resignierte Dahintreiben eines fatal ins Wasser abgestürzten Lebewesens. Aufmerksam steht der Fischer da und spielt und spielt.

Der Fischer kennt den Standort des Fisches. Als Fischkenner weiss er, wo er suchen muss und wie er finden kann. Er erkennt die Zeichen und setzt selbst sein Zeichen, die Mücke. Die Mücke spielt er nicht vor sich hin, sondern für den Fisch. Der soll das Mückenstück als Leben lesen. Der Fischer zeigt der Welt, wie der Fisch sie sieht, die Mücke, und sein künstlerischer Anspruch ist streng: Er will die Beute am Hacken als Beweis: So sah der Fisch die Welt.

Der Fischer versetzt sich in den Fisch. Über sich, im gebrochenen Licht an der Wasseroberfläche sieht er die Mücke im Lebenskampf aufmüpfig gegen den Tod anzappeln, dann erschöpft sich treiben lassen.
Der Todeskampf der Mücke entzückt den Fisch. Er liebt Mücken. Er ist gierig und misstrauisch. Er lauert und ist bereit zur Hin- oder Wegbewegung. Der Fischer in der Mücke lockt. Er begehrt den Fisch, er will ihn.

Zuckt die Mücke, schnappt der Fisch, reisst der Fischer den Hacken dem Fisch ins Maul. Denn Fische fressen Fliegen, Fischer Fische.
von Reinhard Storz

Katalogbeitrag zu einer Ausstellung von Toni Zulauf
Naturhistorisches Museum Bern 94