Reinhard Storz

Cargo Cult im Cyberspace

Jodi - Laborieren am Quellcode



Seit 1995 gehört Jodi.org zu den bekanntesten Kunst-Adressen im Netz. Ihre Arbeit mit den selbstreferentiellen Mitteln der Browser-Ästhetik hat in der Net-Community weltweit Schule gemacht. In der scheinbar starren Befehlssprache kommerzieller Software spüren sie produktive Fehlfunktionen auf und erzielen dabei Effekte, die andere auch mal als Defekte missverstehen. So wurde ihnen 1999 wegen ihrer Netzarbeit Oss vom Host ihrer Website der Service gekündigt: "Wie sie wissen, enthält eine ihrer WWW-Seiten bösartiges Javascript, das den Browser abstürzen läßt..." Doch das Bösartige an OSS ist vor allem komisch, ein Wucher- und Wuseleffekt der Browserfenster, der an einen Virus denken lässt. Jodis subversives Spiel im ABC der Netz-Bildsprache lässt sich als angewandte Kritik der neusten Medien verstehen, vergleichbar mit Nam June Paiks techno-ästhetischen Untersuchungen von Fernsehen und Video. Jodi vergleichen ihre Arbeit mit einem 'Cargo Cult'. Mit Low-Tech-Mitteln thematisieren sie die Welt der High-Tech-Erscheinungen. Die inflationäre Allgegenwart von Webadressen mit ihren vor allem in Englisch lächerlich ausgesprochenen drei Ws überhöhen Jodi zu einer magischen Beschwörung: Ihre Hauptadresse wird nicht nur mit drei, sondern mit neun Ws geschrieben: wwwwwwwww.jodi.org

Zu den neusten Arbeiten des Holländer Künstlerpaars Jodi (Joan Heemskerk and Dirk Paesmans) gehören die Untitled Games. Sie basieren auf dem Quellcode kommerzieller Ego-Shooter-Spiele, der von manchen Spielefirmen im Internet kostenlos zur Verfügung gestellt wird.
Jodi dekonstruieren diesen Code, das heisst, sie putzen alle Details weg und lassen nur die rudimentäre Raum- und Navigationssteuerung der Spiele übrig. Der Aufwand ist gross, denn aus Zigtausenden von Programmierzeilen müssen sie die entscheidenden Befehle erkennen, und jeder kleinste Fehler, ein falsch gesetztes Komma oder eine vergessene Silbe, macht die Programmierung unwirksam. Immer wieder müssen sie von der Programmierebene in die Bildebene umschalten, um die Effekte zu überprüfen.
Von welcher ästhetischen Strategie die 'Deprogrammier'-Arbeit in den Untitled Games geleitet wird, erkennt man beimVergleich mit einem Vorläufer dieser Reduktionsversuche, Jodis 'Wolfenstein'-Version. Bereits hier kommen sie mit wenigen Bildelementen aus, doch vereinzelt gibt es noch runde Formen und die grafische Andeutung von Gesichtern. In den Untitled Games dagegen sind alle visuellen Daten auf Flächen und Linien, rechte Winkel und wenige Farben zurückgeführt. Diagonalen kommen vor, weil sie für die Illusion der Raumbewegung nötig sind und, wie in der Spiel-Version 'Ctrl-Space', zu bizzarren OpArt-Effekten führen können. Auch die Töne wirken reduziert und wie gepixelt. In Stereo bestärken sie das Gefühl einer räumlichen Bewegung, mal nähren wir uns einer Tonquelle, dann entfernt sie sich wieder. So lassen sich die Untitled Games als ästhetische Untersuchungen virtueller Räume verstehen, abgeleitet und abstrahiert von den hoch elaborierten 'Salonmalereien' kommerzieller Computergames.
In der Tonebene ist die Vorlage der Kampfspiele noch erkennbar. Man hört verhaltene Männer/Monster-Schreie, ein Keuchen, das technoide Knurren von Hunden und schliesslich Schussgeräusche, die man selbst per Tasten und Mausklick auslösen kann. Tatsächlich bleibt in den Untitled Games auf der Tonebene das Ego ein Shooter, man ballert gegen das Numinose des abstrakten Datenraums. Gelegntlich fahren Tabellen ins Bild, welche über die Anzahl erledigter und noch drohender 'monsters' und 'secrets' informieren. Im Untitled Game 'Arena', wirkt das besonders irritierend, denn bei allem Schiessen, Knacken und Stöhnen bleibt die Bildfläche strahlend weiss. (Was mache ich bloss falsch, denkt man, und tastet und klickt an gegen das erhabene Monitorlicht.) In 'Slipgate' dagegen kommt das Knurren erkennbar von einem angriffigen blauen Würfel, der winselt, wenn man auf ihn schiesst, und ein schlechtes Gewissen erzeugt.

Wer ist das Publikum für Jodis Bild- und Spiel-Studien? Die oberen zehntausend Kunstfreunde oder die Millionen Gamefreaks? Allmählich beginnt sich ein Publikum herauszubilden, das Anschluss hat an beide Sphären, das erkennt, wie sich im digitalen Spielbereich eine alte Welt von Bildern und Geschichten durch neue Raumerfahrungen und Rezeptionsweisen erweitert.

Bis zum 27. Oktober 2002 präsentiert das [plug in] Basel die erste umfassende Einzelausstellung zur neuen Arbeit von Jodi. Dazu erscheint eine Printpublikation.

Netzadressen:
untitled-game.org (Download der 'Untitled Games')
wwwwwwwww.jodi.org (offizielle Jodi-Site)
www.0100101110101101.org/home/jodi.org (Raubkopie früher Jodi-Arbeiten)
http://myboyfriendcamebackfromth.ewar.ru/ (Download von 'Wolfenstein')
http://oss.jodi.org (Seite mit 'bösartigem Javascript')
www.youplugin.org

NZZ, Beilage 'Literatur und Kunst' S.72. - 19./20.Okt.2002