Reinhard Storz
Mode und Kosmetik -
die echte Selbstdarstellung
Wer kennt nicht den kritischen Blick auf sein Gesicht und seine Körperformen,
und wer kennt nicht die Idealgesichter und Idealkörper aus den Massenmedien,
welche uns beim Blick aufs eigene Spiegelbild über die Schulter gucken.
Heute gilt das zunehmend auch für Männer, die Frauen haben diesen
sogenannten "Schönheitsterror" bereits seit Generationen
verinnerlicht.
Ein bekanntes Zitat des Kunsttheoretikers John Berger lautet:
"Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als
diejenigen, die angesehen werden."
Wer sich mit fremden Augen sieht, sieht sich als Bild, als Erscheinung.
Dieser Erscheinung rücken wir kosmetisch zu Leibe.Wir schminken uns
die Augen grösser und malen uns einen roten üppigen Mund darunter.
Wir rasieren uns, oder lassen uns einen imposanten Schnauz wachsen. Wir
enthaaren unsere Beine und brutzeln uns an der Sonne eine braune Haut an.
Wir fasten uns pfundweise Fett weg oder trainieren uns im Fitnesscenter
Muskeln unter die Haut. Wir tragen Jacketts mit Achselpolstern und BHs mit
wattierten Körbchen. Wir kleiden uns in Weiss und Schwarz, in blau-rot
Getupft und in Grün mit Gold. Unser Aussehen ist unsere "Verpackung",
soweit kennen wir die Sprache der Werbung.
Zur Bedeutung einer guten Verpackung sagte Caren Pfleger, deutsche Modemacherin
und Ex-Model in einer Talk-Show:
"Ich helfe gut auszusehen - ich glaube schon dass der personal look
- dass der approach eines Menschen, wenn er kommt, also der Ausdruck - die
expression - seine zweite Haut ist - die Bekleidung - wir laufen ja nicht
nackt herum - und denke mir schon, dass es ein Privileg ist, einen guten
look zu machen."
Wir lächeln also unserem Spiegelbild zu und schreiten geschminkt, rasiert
und wattiert ins öffentliche Leben.
Hoffentlich sind wir nicht "overdressed"? Nur das nicht! Wir sind
bescheidene Darsteller unserer selbst.
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Keiner von uns zweifelt am moralischen Wert eines natürlichen Aussehens,
und jeder weiss:
"Schönheit vergeht, die inneren Werte bleiben."
Aber was ist gemeint mit Natürlichkeit?
Gemeint ist nicht die urwüchsige, unzivilisierte Natur. Natürliches
Verhalten, das unrasiert rülpst und nach Schweiss stinkt, das in der
Nase bohrt und unflätige Wahrheiten ausspricht, entspricht nicht unserem
kulturellen Kodex. Die Wahrheiten wollen geschminkt und die Gerüche
parfümiert sein. Aber dezent. Nicht die Natur selbst, die Inszenierung
des Natürlichen ist gefragt.
Hinter dem Ideal der Natürlichkeit steht das alte Misstrauen gegen
alles Scheinhafte. Scheinhaft ist aber, einem hergebrachten christlichen
Urteil zufolge, der menschliche Körper schlechthin.
"Schöheit vergeht, die inneren Werte bleiben."
Mittelalterliche "Memento mori"-Darstellungen zeigen mit Vorliebe
junge schöne Frauen, an deren Körper Kröten und Schlangen
nagen - die Symbole der Verwesung.
Vor gut 1000 Jahren brachte der Abt Odo von Cluny dieses christliche Verhältnis
zur körperlichen Natur drastisch auf den Punkt:
"Die Schönheit des Körpers besteht allein in der Haut.
Denn wenn die Menschen sähen, was unter der Haut ist, wenn sie so das
Inwendige sehen könnten, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen
ekeln. Ihre Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle.
Wenn jemand überdenkt, was in den Nasenlöchern, was in der Kehle
und was im Bauch alles verborgen ist, dann wird er stets Unrat finden. Und
wenn wir nicht einmal mit den Fingerspitzen Schleim oder Dreck anrühren
können, wie können wir dann begehren, den Drecksbeutel selbst
zu umarmen."
Bei den alten Christen war die Natur nicht das Echte, sondern - anders
als die inneren, gottgefälligen Werten - nur das Scheinbare. Die Frauen
waren Repräsentantinnen dieser scheinhaften, verführerischen Natur.
In der bürgerlichen Kultur sind es weiterhin die Frauen, welche für
das Scheinhaft-Modische zuständig sind. Sie sind "das schöne
Geschlecht".
Mit unserer natürlichen Haut als "Drecksbeutel" haben wir
uns aber abgefunden. Die Kröten und Schlangen identifizieren wir in
unseren Krähenfüssen und Stirnrunzeln. Ihnen rücken wir
als Zeichen der Vergänglichkeit kosmetisch zu Leibe. Die ewig jugendliche
Erscheinung, deren unverstellte Persönlichkeit aus schlichten Kleidern
ragt, gilt als natürlich schön und moralisch integer. Ihre ungekünstelte
Integrität transzendiert sich in den Wert einer geistigen Schönheit.
Die Forderung nach der natürlichen Erscheinung einer Person ist ein
traditionelles Argument gegen Kosmetik und Mode. Frauen, die modisch und
geschminkt wirken, sind dieser Kritik zufolge verkleidete Objekte, die ihre
Weiblichkeit aufdringlich zur Schau stellen.
"Anständige" Frauen sollen zwar gepflegt sein und unauffällig
geschminkt. Aber Ihre Erscheinung muss wahr und natürlich wirken. Spuren
von Künstlichkeit und Maskerade müssen sorgfältig getilgt
sein.
Auch wenn den Frauen von der Werbung und den Frauenzeitschriften permanent
neue "Masken der Weiblichkeit" angedient werden, dürfen sie
diese Masken nicht als Masken zur Schau stellen. Die Kunst der Kosmetik
und Mode besteht darin, diese Kunst als gepflegte Natur erscheinen zu lassen.
Das perfekte Vorbild besteht in einer ungekünstelten und jugendlichen
Schönheit, welche kosmetische Korrekturen nicht nötig hat. Aber
als Vorbild nötigt es Korrekturen auf. Die Frauen sollen sich zu ihm
hin- und zurückschminken. Bei Bedarf hilft die Schöheitschirurgie
mit. Sie beherrscht die Kunst, die falsche Natur in eine richtige umzugestalten.
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In ihrem neu erschienen Buch "Mode nach der Mode" stellt Barbara
Vinken fest, dass die bis heute tradierte Inszenierungsform des Weiblichen
auf die Lehren Rousseaus zurückgeht:
"Für Rousseau soll die Kunst der Mode eben darin bestehen, die
natürliche Schönheit zu unterstreichen, schöne Ergänzung
des von Natur gegebenen zu sein. Die Person selbst und nicht ihr Kleid soll
schön wirken. Und die ganze bürgerliche Rhetorik der Unauffälligkeit,
des Schmuckes der Schmucklosigkeit setzt ein. Teil dieser auf Natur sich
berufenden Inszenierung ist eine Festlegung der Frau, die in ihrer Bedeutung
für das bürgerliche Familienbild gar nicht unterschätzt werden
kann: Ihre Festlegung auf die klassischen Sollwerte der Bescheidenheit und
Schamhaftigkeit."
Die feministischen Theoretikerinnen der 70er Jahren legten den Frauen nahe,
ihr natürliches Gesicht und Haar zu akzeptieren und der kosmetischen
Maskerade die kalte Schulter zu zeigen.
Gemeint war ein striktes Modeverbot, wie es in unserer bürgerlichen
Kultur für den echten Mann gilt.
Doch der feministische Ruf "Zurück zur Natur " und die Behauptung,
eine Frau sei schön, wie die Natur sie geschaffen habe, wurde schnell
kommerziell umgeschrieben und als verbindlichen "Naturlook" in
die Modevorschriften aufgenommen.
Den Feministinnen selbst wurde von männlicher Seiten unterstellt, sie
würden einen Kult der körperlosen Hässlichkeit etablieren,
und das nur, weil sie selbst hässlich seien, keine "echten Frauen".
Die jüngsten feministischen Empfehlungen wenden sich ihrerseits gegen
den feministischen Purismus der 70er Jahre. Sie kritisieren die Vorstellung,
es gebe für die Frau oder den Mann eine identisch-echte Erscheinung.
Vielmehr ist alles theatralische Selbstdarstellung. Also gilt es, sich in
den Karneval der Erscheinungen bewusst und selbstbestimmt hineinzustürzen.
Als Prototyp dieser Theatralik der Unberechenbarkeit wird die Popsängerin
und Multimedia-Entertainerin Madonna genannt. Madonna hält der Bescheidung
auf selbstidentisches Aussehen das Spiel des kaleidoskopartigen Identitätenwechsels
entgegen. Sie setzt auf Widerspruch, Konflikt und Ambivalenz.
Camille Paglia schreibt:
"Madonna, die für Millionen von Mädchen überall auf
der Welt ein Rollenvorbild verkörpert, hat durch die Wiederherstellung
der weiblichen Herrschaft über das Reich der Sexualität die Gebrechen
des Feminismus geheilt."
"Madonna sieht in der Sexualität das Animalische und das Raffinierte.
Sie, die praktisch jeden Monat ihre Haartracht und ihren Kleidungsstil ändert,
verkörpert die ewigen Werte der Schönheit und der Lust. Der Feminismus
verkündet: >Keine Masken mehr<. Madonna sagt: >wir sind nichts
als Masken<."
Der Kosmetik- und Modeindustrie kann dieses Bekenntnis zur Maskerade nur
recht sein. Diese Industrie lässt sich aus unserer Kultur aber eh nicht
mehr wegdenken. Wenn sie bisher beanspruchte, über die Massenmedien
soziale und psychologische Differenzen etwa zwischen "Jeansgirl",
Haus- oder Karrierefrau und Dame, ja selbst zwischen Männer- und Frauenrollen
bildhaft zu stabilisieren und damit scheinbar persönliche Identitätsmuster
anzubieten, werden diese Trennungen zukünftig aber kaum mehr greifen.
Die soziale Ideologie der Identitität wird als Rollenmuster erkannt,
ihre Masken als Masken ausgestellt.
Beitrag zur Radiosendung >Echt-Unecht<
Samstag 16.10.1994
Deutschlandsender Kultur, 12456 Berlin
(vorgetragen mit 2 Stimmen)