Giaco Schiesser

Wir fahren auf der Autobahn!

Mit Multimedia auf dem Weg ins ökologische Zeitalter? (1999/1996)

    Druckfassung
des Vortrags auf dem 5. Luzerner Umweltsymposium "Umwelt und Kommunikation"
28. bis 31. Mai 1996, (gehalten am 29. Mai 1996)



© Beim Autor. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung.
                      Es geht um etwas sehr Simples: Es geht um die Gigabites, die den Consumer erreichen sollen und um die Gigadollars, die dafür verdient werden können.
Helmut Fluhrer, Burda-Verlag, 1994


Einleitung

"Wenn es uns nicht gelingt, die Rahmenbedingungen des globalen Wettbewerbes zu ändern, dann wird es zur ökologischen Katastrophe kommen", "wir werden die ökologischen Probleme längerfristig nicht ohne eine Revolution unser Verhaltens lösen können", "die Welt wird einen zivilisatorischen Sprung schaffen" müssen. Für einen eidgenössischen Beamten waren es erstaunlich markige Worte, mit denen Buwal-Direktor Philippe Roche im vergangenen April in einem Interview die globale Umweltsituation bilanzierte. (Tages-Anzeiger, 2.4.96) "Öko-Optimismus" - so der Titel ihres seit einem halben Jahr heftig debattierten Buches - erklären andererseits Dirk Maxeiner und Michael Miersch zur angemessenen Grundhaltung für das 21. Jahrhundert. Die neuen Weisswäscher wollen es den notorischen Schwarzmalern zeigen: Alles doch nur halb so schlimm, seht, was haben wir nicht schon alles erreicht, die Natur wandelt sich sowieso dauernd, Wachstum braucht immer weniger Ressourcen, lautet ihre frohe Botschaft.

Es gab in den letzten Jahrzehnten manchen Kandidaten, der es ökologisch hätte richten sollen. Nach der nachhaltigen Entwicklung werden zur Zeit gerade Multimedia und Info-Autobahnen als Kandidaten Nummer Eins gehandelt. Sie lösen, auch das nicht gerade neu, optimistische bis euphorische Visionen einer sauberen Dienstleistungsgesellschaft aus. Sehen wir näher zu. Es sind 3 Bereiche, in die entsprechende Erwartungen gesetzt werden (vgl. auch Ruhmann):
  • Ersatz ressourcenintensiver durch ressourcenschonendere Aktivitäten. Die aktuellen Beispiele sind die Zeitung oder das Buch in elektronischer Form und die Just-in-time-Produktion.
  • Gesamtminimierung der Ressourcennutzung. Teledienste wie Homeshopping, Teleunterricht, Videokonferenzen sowie Heimarbeit und das papierlose Büro sind dafür die bekanntesten Beispiele.
  • Partielle Minimierung der Ressourcennutzung. Das immer wieder genannte Beispiel heisst "Intelligente Verkehrsleitsysteme".

    Es mag zunächst verblüffen, dass verlässliche Untersuchungen zum Thema weitgehend fehlen oder sich in unabgestützten Prognosen erschöpfen. Einzeluntersuchungen etwa des renommierten Fraunhofer-Instituts in Karslruhe oder des Instituts für Energietechnik in München vermögen zwar Teile eines Ökobilanz-Puzzles zu liefern, übergeordnete Ökobilanzen der Informations- und Kommunikationsgesellschaft stehen jedoch weiterhin aus (vgl. Schiesser).

    Optimieren & zu Hause bleiben (können) - der Verkehr

    Der Verkehr ist der Bereich, in dem der grösste ökologische Nutzen dank Multimedia und Telekommunikationstechnologien behauptet oder erwartet wird. Entsprechend befassen sich zur Zeit relativ gut dotierte Forschungsvorhaben der EU und des deutschen Bundesforschungsministeriums mit dem Verkehr (deren Ergegnisse noch ausstehen). Zu unterscheiden sind dabei die Nutzen nach den Aspekten Verkehrsoptimierung und Verkehrssubstitution.

    Verkehrsoptimierung

    Unter Verkehroptimierung wird die Regelung eines optimierten Verkehrsflusses durch computergesteuerte Vernetzung verstanden. Zum sog. intelligenten Verkehrsmanagement gehören Verkehrsleitsysteme, Satellitennavigationsgeräte, automatisches Einziehen von Gebühren (Maut), variierende Tempovorschriften usw. Verkehrsoptimierungsstrategien zielen allerdings in erster Linie nicht auf Umweltschutz, sondern gelten dem Versuch, hohe Verkehrsaufkommen flüssiger und handhabbarer zu gestalten: der Verkehr soll optimal, das heisst gleichmässiger, über das bestehende Strassennetz verteilt werden, die individuelle Mobilität bleibt unangetastet. Umweltschutz, hier die Verringerung des Schadstoffausstosses, ergibt sich gewissermassen als erfreuliches Nebenprodukt der Verkehrsoptimierung. In der Realität sieht es für dieses Nebenprodukt weniger erfreulich aus. Rainer König vom Karlsruher Fraunhofer-Institut hat in verschiedenen empirischen Studien seit 1993 (1993, 1996) nachgewiesen, dass eine Verkehrsoptimierung wiederum zu erhöhtem Verkehr führt und die Schadstoffreduktion damit wieder zunichte gemacht wird. Dass Spareffekte auf Dauer von Mengeneffekten aufgefressen werden, zeigt besonders drastisch auch die Geschichte des Automotors. Automotoren sind heute viel effizienter als vor 20 Jahren, aber der Zuwachs an Autos, an gefahrenen Kilometern und an Geschwindigkeit hat den Gewinn schon lange annulliert. Man kennt den Effekt auch aus den Erfahrungen mit dörflichen Umfahrungsstrassen: Zunächst bringen Umfahrungsstrassen eine Entlastung für die betroffen Bevölkerung, letzlich führen sie zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen.

    Verkehrssubstitution

    Die Grundidee der Verkehrssubstitution ist eben so einfach wie simpel: Lokale, regionale, nationale und globale Kommunikation im digitalen Zeitalter machen es unnötig, die eigenen vier Wände zu verlassen. Das Mobilitätsaufkommen wird drastisch verringert. Die immer wieder genannten ökologischen Vorzeigebeispiele sind:
  • Heimarbeit/Telearbeit,
  • Teleshopping,
  • Teleunterrricht und
  • Videokonferenzen.
    Wer zuhause arbeitet, von dort aus einkauft oder lernt, braucht nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit in Einkaufszentren oder in die Schule /Universität zu fahren. Wer seine Geschäftssitzungen mit regionalen oder globalen Partnern per Videokonferenzen führt, braucht nicht mehr mit Auto oder Flugzeug Zehntausende von Kilometern zurückzulegen.
    Auch hier ist der ökologische Wunsch Vater des Gedankens, nicht die Realität. Gemäss Zahlen der deutschen "Telekom" hat - trotz gewachsenene Angebots an Videokonferenzen - die Zahl der Geschäftsreisen in Westdeutschland in den Jahren 1993 und 1994 um jeweils 15 Prozent und in Osteutschland um jeweils 56 Prozent zugenommen. Nachdem er noch 1994 ein Sparpotential von 10 Prozent bis 20 Prozent im Geschäfts- und Berufsverkehr ausgemacht hat, spricht Rainer König mittlerweile noch von einem Einsparpotential von rund 8 Prozent (wobei der Geschäfts-/Dienstreiseverkehr mit 3,5 Prozent und der Berufsverkehr mit 2,9 Prozent zu Buche schlagen). Heute ist König der Meinung, dass das Mobilitäts-Sparpotential noch immer überschätzt wird: Die Sparpotentiale können bestenfalls den realen Wachstum kompensieren. (König 1996) Die enttäuschenden Erfahrungen in den USA, wo Videokonferenzen weit davon entfernt sind, die notwendig kritische Masse zu erreichen (vgl. Stein), haben zudem klar gemacht, dass Videokonferenzen in Zukunft als Ergänzung und nicht als Ersatz bestehender Kommunikationsmöglichkeiten genutzt werden - sich hier also ein ähnlicher Prozess wie beim altehrwürdigen Telefon abspielt.
    Beim Teleshopping fällt zwar die Fahrt zum Ort des Kaufes weg, dieser wird aber durch den Direkttransport der Waren vom Lager zum Kunden ersetzt. Einmal abgesehen davon, dass zum gegnwärtigen Zeitpunkt offen ist, ob sich das private Teleshopping in Europa auf breiter Basis durchsetzen wird , macht sich heute kein Mensch Gedanken über die ökologischen Folgen dieser Ausweitung des Warenverkehrs, es liegen nicht einmal Prognosen vor. Insbesondere fehlen Untersuchungen, die die eingesparten Ressourcen im Business-to-Business-Bereich gegen das erhöhte Gütertransportvolumen aufrechnen. Nur auf den ersten Blick verblüffend ist, dass über die Substitution des Freizeitverkehrs, der rund 45 Prozent des Verkehrsvolumens ausmacht, nicht diskutiert wird. Weder politisch noch wissenschaftlich scheint hier ein Handlungsbedarf gesehen zu werden. Die Unpopularität von Massnahmen gegen den Individualverkehr dürfte allerdings das Nachdenken über Alternativen zur individuellen Mobilität nicht länger verhindern.
    Was schliesslich die Telearbeit betrifft: Das Sparpotential von Telearbeit hängt direkt von der Quantität der Tele-Arbeitsplätze ab. In Europa kommen bei gegenwärtig 2 Millionen Heimarbeitsplätzen (1994) noch relativ wenige Menschen in den Genuss von Telearbeit (bzw. sind von ihr betroffen). Falls die für Europa von der britischen Ovum Ltd.prognostizierten rund 12 Millionen Heimarbeitplätze bis zum Jahr 2000 tatsächlich entstehen, läge für die Schweiz, die zusammen mit den USA weltweit über die höchste Computerdichte verfügt, in diesem Bereich sicherlich ein ökologisches Potential. In Rechnung zu stellen ist dabei zweierlei: Computerisierte Heimarbeitsplätze bestehen oft aus schlecht bezahlten und sozial miserabel abgesicherten Jobs, wie das Beispiel der USA zeigt. Zum zweiten sollte das Bedürfnis der Menschen nach direkter zwischenmenschlicher Kommunikation nicht unterschätzt werden. "Menschen ist der Zugang zu anderen Menschen wichtiger als der Zugang zu irgendwelchen Informationen", ist eine der zentralen Erkenntnisse von William H. Dutton, dem Leiter des Britischen Programms zur Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien (PICT). Und in der Tat: Nicht nur am CERN in Genf, wo bekanntlich das World Wide Web erfunden wurde, ist nach wie vor die Terrasse im Sommer und die Cafeteria im Winter der entscheidende Ort der Kommunikation und der Entwicklung von Ideen, wie der CERN-Chef nicht müde wird zu betonen, auch die bestvernetzten amerikanischen Manager nahmen während des grossen Schneesturms in New York im vergangenen März nach ein, zwei Tagen den beschwerlichen Weg von in ihren Vorortsvillen in die Stadt auf sich, nur um wieder unter den Leuten zu sein, wie die amerikanische Soziologin Saskia Saasen berichtete. (SonntagsZeitung, 3.3.96) Grundsätzlich gilt, so hat das Fraunhofer-Institut eruiert: Verkehrssubstituierende Effekte treten nur dann ein, wenn sie auch das Ziel der Unternehmung sind. Treten sie nur als Nebeneffekte auf, werden die verkehrssubstituierenden Effekte rasch durch Kompensationseffekte gefressen. So ist relativ gut bezahlte Telearbeit für die meisten Firmen dann attraktiv, wenn es darum geht, eine maximale Kundenpräsenz zu erreichen. Dies bedeutet in der Regel eine Ausweitung des Aussendienstes und eine erhöhte Reisetätigkeit der Telearbeiter. Als Beispiel für eine wirksame, weil gezielt angestrebte Verkehrsubstitution kann die Einführung des "Clean Air Act" in Kalifornien gelten: Als die Unternehmen per Gesetzesdekret gezwungen wurden, den Pendelverkehr zu reduzieren, wurden Telearbeitsplätze plötzlich zu einer ernstzunehmenden Alternative.

    Schlanke Produktion & papierloses Büro - der Industrie- und Dienstleistungssektor

    Die meist genannten ökologischen Multimedia-Beispiel im Industrie- und Dienstleistungssektor sind:
  • Just-in-Time-Produktion,
  • die Kontrollfunktionen von Produktionsabläufen und
  • das papierlose Büro.
    Auch im Industrie- und Dienstleistungssektor ist bisher ein eher bescheidenes ökologisches Potential auszumachen. So können zwar dank Just-in-time-Produktionen grosse Lagerräume eingespart, der Energieverbrauch gesenkt und Rohstoffe gezielter eingesetzt werden. Andererseits trägt die Just-in-time-Produktion zu einer Erhöhung des Verkehrsvolumens bei. Leider liegen noch keine Untersuchungen vor, die den Verbrauch von Ressourcen der Produktion, Lagerung und Distribution industriell produzierter Güter querverrechnen.
    Untersuchungen zu den computergesteuerten Kontrollen industrieller Produktionen, die eine Optimierung von Prozessabläufen und eine gezieltes Eingreifen ermöglichen, wenn Gefahren für die Umwelt drohen, fehlen bisher ebenfalls.
    Das papierlose Büro hingegen war schon immer eine Mär (vgl. Knauer): In den Industriestaaten wächst der Verbrauch des Papiers seit der Einführung des Computers jährlich um bis zu zehn Prozent. "Der PC ist der grösste Baumkiller seit der Erfindung der Axt", sagt der amerikanische Elektronikexperte Steve Blanc von dem Stromunternehmen Pacific Gas and Electric. Verbräuchte jeder Chinese die gleiche Menge Papier wie ein Bundesbürger - zur Zeit 236 Kilogramm -, so "stünde kein Baum mehr auf der Erde", berechnete die Zeitschrift "Öko-Test". Schnelle Laserdruckgeräte, das Internet mit seinen Millonen von herunterladbaren Dateien, die kaum am Schirm gelesen werden, und die gegenüber dem Buch bescheidene Lebensdauer einer CD-Rom von 15 Jahren versprechen kaum Besserung.

    Fazit: In den für Ökologie als killer applications angeführten Bereichen Verkehrsleitsysteme, Heim-/Telearbeit, Teleshopping, Videokonferenzen, papierloses Büro, Just-in-time-Produktionen und Überwachung von industriellen Produktionsabläufen erweisen sich die ökologischen Wunderdrogen Multimedia und Telekommunikationstechnologien entweder als als haltlose Vermutungen, oder da, wo Analysen vorliegen, als computerökologischer Wunschcocktail. Von den ökologischen Wunschverheissungen multimedialer Informations- und Kommunikationstechnologien bleibt nach dem Gesagten wenig. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass auch ein Umweltschutz, der diesen Namen verdient, nur aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl verschiedener Faktoren zustandekommen kann, zeichnet sich ein qualitative ökologische Sprung dank Multimedia und Telekommunmikationstechnologien nirgends ab.

    Der blinde Fleck - der Computer

    Dazu kommt ein weiteres, meist völlig ausgeblendetes Kapitel . Umweltschutz ist heute nicht mehr ohne Computer denkbar, doch der ist selbst eine ökologische Belastung. Computer analysieren Dioxine, senken den Stromverbrauch von Tiefkühltruhen und Computeranlagen, regulieren Heizungen, reduzieren den Schadstoffausstoss von Autos, orten Altlasten, Wasser- und Luftverschmutzungen, spüren aus dem All illegales Abholzen von Regenwäldern in Brasilien auf. Aber der Computer - der für manche Fachleute den Beginn von Ökotopia markiert - beschleunigt den Verbrauch des "ökologischen Grundkapitals", so der Essener Philosoph Klaus-Michael Meyer-Abich. Zu schwarz gemalt? Ein Beispiel: Zur Zeit gibt es weltweit rund 130 Millionen Computer. Die Herstellung eines einzigen PC verschlingt heute genausoviel Energie (5345 Kilowatt), wie ein Inder im Durchschnitt in 2 Jahren verbraucht, und die gleiche Menge Wasser (33 000 Liter), die ein Bewohner Madagaskars in 16 Jahren konsumiert. Ein etwas fairerer, auf westeuropäische Verhältnisse bezogener Vergleich: Mit derselben Strommenge, die die Produktion eines PC heute benötigt, lässt sich ein handelsüblicher Ökokühlschrank eineinhalb Jahre betreiben und mit derselben Wassermenge spült eine schweizerische Durchschnittsfamilie zwei Jahre lang ihre Toilette.

    Nach einer Untersuchung der us-amerikanischen Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) schlucken die 60 Millionen Computer, die in den USA stehen, fünf Prozent der us-amerikanischen Stromerzeugung, in der Schweiz sind es hochgerechnet rund 3 Prozent (NZZ, Beilage "Technik und Gesellschaft", 29.5.1996), und in Deutschland lasten die elektronischen Geräte ein AKW der1'000 Megawatt-Klasse aus.
    Wie weit die Niedrigfrequenzstrahlung von Bildschirmen schädlich ist, ist heute ungeklärt. Bei einem Test der Zeitschrift "PC Welt" erwiesen sich fünf von acht gekauften Monitoren in Sachen Elektrosmog nicht MPR-II-, also EU-konform.
    Von den 20 Prozent Schwermetallbelastung auf amerikanischen Deponien stammt ein nicht unwesentlicher, wenn auch nicht genau bezifferbarer, Anteil aus Computerbatterien und -Akkus. In den Gehäusen und Leiterplatten der Computer finden sich hochtoxisches Brom als Flammenschutzmittel, die Leiterplatten enthalten einen Chemikalienmix von Dioxinen, Furanen und rund 100 weiteren Stoffen. Nur ein Drittel der Bauteile, die mühsam von Hand auseinandersortiert werden müssen, ist wiederverwendbar. Bei einer Lebensdauer von durschnittlich 2,3 Jahren fallen allein in Deutschland jährlich rund 10 Millionen Kubikmeter Computerschrott an.

    Alternativen & Realitäten

    Statt weiterhin auf Ökotopia dank Multimedia und Informationsautobahnen zu hoffen, scheint es sinnvoller, dem alles erdrückenden Leitbild eines deregulierten High-Tech-Kapitalismus Szenarien gegenüber zustellen, die bei den dringend zu lösenden Umweltproblemen ansetzen. Erst dann machen Fragen Sinn, ob und was Telekommuniaktionsindustrie, Informations-Highways und Multimedia zu deren Lösung beitragen können.
    Entscheidend ist heute, das Leitbild schlanke Produktion, das bekanntlich nur auf die Rationalisierung des Faktors Arbeit zielt, um eine ressourcenschlanke Produktion zu ergänzen. Eine Effizienzrevolution ohne Suffizienzrevolution - siehe das erwähnte Beispiel Verkehrsoptimierung - verpufft ins Leere. Herman Daly hat diesen Sachverhalt in einem treffenden Bild ausgedrückt: Auch ein Schiff, auf dem die Lasten effizient verteilt sind, wird bei steigendem Gesamtgewicht irgendeinmal untergehen - auch wenn die Passagiere die tröstliche Befriedigung hatten, optimiert versunken zu sein. Die eigentliche Herausforderung besteht also darin, den High-Tech-Kapitalismus - oder die Informationsgesellschaft, wenn man lieber will - so zu gestalten, dass er auf "konsistenten Stoffströmen" gründet. Im Gegensatz zu heute verbreiteten Management-Konzepten, die auf Reengeneering, globalen Wertschöpfungsketten oder stratetgischen Netzwerken gründen, bedeutet die Entwicklung konsistenter Stoffströme: Stoffe und Emissionen zu erfassen und zu bewerten - und zwar von der Gewinnung bis zur Verschrottung. Entgegegen den Vermutungen, die Sie jetzt wahrscheinlich hegen, sind diese Gedanken nicht nur graue Theorie. So erstellt nach diesem Konzept etwa der europäische Verband von Vliesstoffherstellern gerade eine Lebenswegbilanz von Papierwindeln, an dem gegen sechzig Betriebe beteiligt sind, die deutsche Drogeriekette Spinnrad baut zur Zeit ein computergestütztes Stoffstrommangement auf, und der Otto-Versand versucht, über Stoffstrommanagement seine CO2-Emissionen bei den Transporten zu minimieren (vgl. Rolf). Das ist selbstverständlich weniger spektakulär als die griffigen Versprechungen der globalen Projekte Multimedia und Datenhighway, dafür aber schon ziemlich handfest.

    Ob es allerdings mit der Strategie "Entrümpelung, Entgiftung und Entsorgung" des aktuellen Wohlstandsmodells über Stoffstrommanagement getan ist, ist nicht erst neuerdings fraglich. Vor sieben Jahren hat Ernst Ulrich von Weizsäcker prägnant formuliert, was seit dem ersten Club of Rome Bericht von 1972 in groben Bezügen bekannt war:

      "Was die reichsten zehn Länder der Weltbevölkerung an Energie, Fläche, Wasser, Luft und anderen Naturgütern verbrauchen - direkt oder indirekt -, ist nicht auf die übrigen neunzig Prozent ausdehnbar, ohne dass die Erde ökologisch kollabieren würde. Und doch ist eben dieser ,Standard' das erklärte Ziel der Entwicklung."

    Statt der bisherigen Orientierungen, Leitbilder und Entwicklungspfade fordern viele Kritiker -ebenfalls nicht erst seit heute - höhere Ressourceneffizienz durch einfachere Strukturen, Regionaliserung und Entschleunigung der Ökonomie. Dieses Szenario der Qualitätsökonomie setzt an der Dauerhaftigkeit und Qualität von Produkten an. Weil Produktion, Distribution und Entsorgung, so der Gedanke, dabei tendenziell zugunsten von Instandhaltung, Reparatur und Nachrüstung zurückgedrängt werden, nimmt die Ressourceneffizienz durch die verminderte Nachfrage nach Rohstoffen, Transport- und Entsorgungsleistungen zu. In einer solchen Ökonmomie sind die vorhandenen Güter und Komponenten der eigentliche Reichtum. Es liegt auf der Hand, dass dieses Konzept der "technischen Nachrüstung" von naivem Technikverzicht oder romantischer Maschinenstürmerei weit entfernt ist.

    Ob diese Vorstellungen heute eher durchsetzbar sind als 1972 oder 1989 ist indes zu bezweifeln.
    In den letzten sieben Jahren ist zu Ernst Ulrich von Weizsäckers Ökobilanz eine unüberschaubare Zahl von Berichten, Vorhersagen, Analysen zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie hinzu gekommen. Allein die Titel einiger weniger dieser Veröffentlichungen liest sich als die Geschichte eines zehnjährigen, permanenten Anrennens und eines ebenso permanenten Scheiterns ökologischer Forderungen - bei abnehmenden Ressourcen und knapper werdender Zeit: Das beginnt mit René L. Freys et al. Mit Ökonomie zur Ökologie (1993) und Al Gores Wege zum Gleichgewicht (1992), geht über Dennis Meadows et al. Die neuen Grenzen des Wachstums (1992) und Dieter Narrs Weltökonomie und die Misere der Politik (1994) bis hin zu Kenneth Galbraiths Die Herrschaft der Bankrotteure (1992) und Robert Kurz' Der Kollaps der Modernisierung (1991), mündet in F. Schmidt-Blecks Frage Wieviel Umwelt braucht der Mensch? (1994) und endet kurz und bündig mit Enrique H. Prats Kurswechsel oder Untergang (1994). Vieles ist ausgedacht, manches getan worden, zuwenig wie fortschreitender Artenschwund, Vermüllung und Toxikologisierung der Erde zeigen. "Was fehlt, sind nicht Ideen, was fehlt ist der politische Mut", übertitelten 1994 zwei bekannte Umweltwissenschaftler illusionslos ihre ökologische Bestandesaufnahme der vergangenen zehn Jahren (Müller/Hennicke). Und spätestens dann, wenn eine Meinungsmacher-Zeitschrift wie der Spiegel mit einer Titel-Geschichte "Feldzug der Moralisten. Vom Umweltschutz zum Öko-Wahn" erscheint (25.9.95), wird sinnfällig, wie die Prioritäten zwischen Ökonomie und Ökologie in unserer Gesellschaft zur Zeit gesetzt werden. Selbst in Wissenschaft und Politik, ihrem Anspruch nach der Öffentlichkeit verpflichtet, wird ein kritischer medienökologischer Standpunkt "gegenwärtig nicht mehr artikuliert. (...) Bei den Kritikern scheint Müdigkeit vorherrschend, (...). Fatalismus hat sich breit gemacht", stellt der Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier, selbst reichlich resiginert, fest.

    Der Wendepunkt - Perspektiven

    Der "Wendepunkt" in der Schweizerische Umwelpolitik, den Ruth Dreyfus sinnigerweise am 1. April 1996 an einer grossangelegten Pressekonferenz verkündet hat, vollzieht, trotz der eingangs zitierten Mahnungen ihres Buwal-Chefbeamten, diese Resignation - sprich: gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse - auch für die schweizerische Politik nach. Die Neuausrichtung der eidgenössischen Umweltpolitik beruht seit dem vergangenen Ersten April auf den vier Eckpfeilern ökonomische Instrumente, Eigenverantwortung, Zusammenarbeit und Verursacherprinzip. Der Grund: Die bisherige Umweltpolitik sei an Grenzen gestossen, "die Kosten für die zusätzlichen Gebote und Verbote", so Ruth Dreifuss laut Tages-Anzeiger, nahmen zu, die Akzeptanz ab" (2.4.1996). Dass die ansonsten gern und oft als neoliberales Vorbild zitierten USA nicht nur in Sachen Umweltschutz eine andere Politik verfolgen - siehe das erwähnte Beispiel des Kalifornischen Clean Air Act -, zeigt sich in ihrem Umgang mit Multimedia und dem Informations-Highway insgesamt. Die Gore/Clinton-Initiative für eine "neue Informations-Infrastruktur" zielt darauf, demokratische Werte wie Gleicheit, Partizipation, Freiheit und Selbstbestimmung unter den extremen Wettbewerbsbedingungen im Bereich der neuen Informationstechnologien zu bewahren und und zu erweitern. Diese bei uns unter dem Schlagwort "Superhighway" oder "Datenautobahn" bekanntgewordene Informations-Infrastruktur sollen zwar vor allem private Unternehmen bauen - Computerindustrien, Telefongesellschaften und Kabel-TV-Betreiber. Der Staat übernimmt dabei aber "die ,symbolic leadership' - er promotet, moderiert, initiiert, sorgt für die Abstimmung von Kooperation und Konkurrenz, die rechtliche Regelung und eben auch dafür, dass die öffentlichen und sozialen Anliegen nicht im Schatten bleiben" (Schmid/Kubicek). Dass das nicht ohne einschneidende Gebote, Verbote und Gesetze zu haben ist, darüber besteht in den neoliberalen USA spätestens seit den Auflagen an die AKW-Industrie Ende der siebziger Jahren common sense.


    Bibliographie
    Dutton, William H.:Realities of MultiMedia. In: MultiMediaMania. Eine neue Kommunikationskultur? Referate des 16. ALCATEL-Symposiums,14. Juni 1995. Zürich 1995 (dt. in: Weltwoche, 20.7.95).
    Hickethier, Knut: Online mit der Zukunft. Zum Diskurs über die neuen Medien. In: Ästhetik und Kommunikation, Nr. 88/1995.
    Knauer,Sebastian: Grüne Kiste? Die Ökobilanz des Computers. In: Spiegel special, Nr. 3 (Die Multimedia-Zukunft. Schicksal Computer)/1996.
    König, Rainer, Mobilität und Multimedia. Umweltentlastung und neue Beweglichkeit durch Technik? Eine Einschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten von Telekommunikation. In: SGU-Bulletin, Nr. 1/1996.
    König, Rainer: Informatisierung des Verkehrs. In Wechselwirkung, Nr. 63/1993.
    Maxeiner, Dirk / Miersch, Michael: Öko-Optimismus. Leben im 21sten Jahrhundert. Hrsg. von Matthias Horx. Düsseldorf 1996.
    Müller, Michael / Hennicke, Peter: Wohlstand durch Vermeiden. Mit der Ökologie aus der Krise. Darmstadt 1994.
    Rolf, Arno: Ökologischer Wunschpunsch. Das Schlagwort von der Informationsgesellschaft verstellt den Blick auf sinnvolle ökonomische Konzepte. In: Die Zeit, 15.3.1996.
    Ruhmann, Ingo: Wie ökologisch ist die Informationsgesellschaft? In: Ökologische Briefe, Nr. 36/1995.
    Saassen, Saskia: "Bald werden neue Barrieren entstehen". Interview in: SonntagsZeitung, 3.3.1996.
    Schiesser, Giaco: Der Traum der Renaissance.Daten, Dummheit, Demokratie. Ein paar kulturanalytische Gedanken zum multimedialen Tun postmoderner Gesellschaften. In: SGU-Bulletin, Nr. 1/1996.
    Schmid, Ulrich / Kubicek, Herbert: Auf den Datenautobahnen in die Zivilgesellschaft? In: Das Argument, Nr 206/1994.
    Stein, Karl-Ulrich: Multimedia: Welches Szenario bringt den Durchbruch? In: Neue Märkte durch Multimedia. New Markets with Multimedia. Hrsg. v. Jörg Eberspächer. Berlin, Heidelberg 1995.
    Tenbrock, Christian: Renaissance des Sonnenstaates. In: Die Zeit, Nr. 23/1996
    Weizäcker, Ernst Ulrich von: Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt. Darmstadt 1989.
    Zentes, Joachim: Multimedia: Potentiale - Illusionen - Utopien. In: MultiMediaMania. Eine neue Kommunikationskultur? Referate des 16. ALCATEL-Symposiums,14. Juni 1995. Zürich 1995.