Claudia Spinelli

"Why do things get in a muddle?"

Gary Hill im Kunstmuseum Wolfsburg

Das Kunstmuseum Wolfsburg wartet mit der bislang umfangreichsten Werkschau des amerikanischen Videokünstlers Gary Hill auf. In einer labyrinthischen Architektur werden rund ein Duzend Installationen aus den neunziger Jahren, sowie eine ganze Reihe von frühen Videobändern gezeigt. Die Überblicksausstellung bietet eine gute Gelegenheit, ein anspruchsvolles Werk neu zu sichten.

"Papa, wenn Unordnung das Gegenteil von Ordnung ist, weshalb braucht es dann so viel Zeit um aufzuräumen, während mein Zimmer bereits nach wenigen Minuten in Unordnung ist?" Eine vollkommen berechtigte Frage, die Gary Hill seiner Protagonistin in den Mund legt. Das Videoband "Why Do Things Get in a Muddle?(Come on Petunia)", 1984 entstanden, ist eine der amüsantesten Arbeiten des amerikanischen Künstlers Gary Hill. Die Diskussionen zwischen Vater und Tochter wurden ursprünglich streckenweise rückwärts gesprochen, dann aber in umgekehrter Laufrichtung kopiert, was im Endergebnis dazu führt, dass das hochphilosophische Gerede um kausale Zusammenhänge, Ursache und Wirkung ebenso aus dem Lot gerät wie der von Sprachverwirrung gezeichnete Haushalt, wo der vermeintlich weggeblasene Staub tatsächlich wie von einer Atembewegung angezogen, die Oberflächen der Möbel erst recht bedeckt. Soviel Ironie ist bei Gary Hill, der in den neunziger Jahren mit installativen Arbeiten bekanntgeworden ist, die Sinne und Wahrnehmungsvermögen des Publikums aufs heftigste strapazieren, eher selten.

Ein Pionier der Videokunst
Der 56jährige Gary Hill gehört mit Bill Viola und Bruce Naumann zu den Pionieren der Videokunst. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet dem amerikanischen Künstler eine grosse, von einem Catalogue Raisonné begleitete Retrospektive, wo neben einer ganzen Reihe von Installationen auch frühe Videobänder zu sehen sind, die kaum bekannt sind. Damit bietet sich die erfreuliche Chance, den Überblick über das Werk eines Künstlers zu gewinnen, der Anfang der neunziger Jahre mit Lorbeeren überhäuft, von manchen – vielleicht etwas voreilig – zum Jahrhundertkünstler erklärt wurde. Die rasante Entwicklung des Mediums, sowohl was die technischen Möglichkeiten, wie auch was seine Ästhetik innerhalb und ausserhalb des Kunstkontextes betrifft, stellt das Werk des Pioniers unter eine veränderte Perspektive, sodass sich in der aktuellen Ausstellung nicht nur die Stärken, sondern auch die Grenzen dieses umfangreichen Werkes abzeichnen.

Nicht anders als das eingangs erwähnte Videoband kreist auch eine der ersten Installationen Gary Hills, "Between Cinema and a Hard Place" (1991), um einen erkenntnistheoretischen Ansatz, der sich am Verhältnis von Sprache und Bild orientiert. Auf dem Boden stehen 23 ausgebauten Monitore. Die Bilder, Landschaften, Häuser und Gegenstände, gleiten über das installative Setting, scheinen für kurze Zeit auf, um alsbald zu verschwinden oder auf einer anderen Mattscheibe abermals zu aufzuleuchten. Die Bewegung des Bildmaterials wird von einer Stimme aus dem Off begleitet, die eine Passage aus Martin Heideggers "Das Wesen der Sprache" liest. Hills Umsetzung nimmt den Duktus des Aufsatzes auf, spielt mit Kongruenzen und Abweichungen, die der inhaltlichen Struktur des Textes entsprechen. Die Installation, deren Titel auf die Gleichwertigkeit von Virtualität und Materialität anspielt, transferiert die sprachphilosophischen Überlegungen Heideggers in die Gegenwart des medialen Zeitalters. Damit beschreibt er analytisch einen Wahrnehmungsprozess, der aus einem steten Hin und Her zwischen den unterschiedlichsten Ebenen, zwischen Bild, Sprache, Körper und Technik hervorgeht.

Mit dem Bezug auf intellektuelle Schwergewichte wie Martin Heidegger, Maurice Blanchot oder Ludwig Wittgenstein sicherte sich Gary Hill den Ruf hoher Seriosität. Gerade auch die Kunstwissenschaft, die sich erfahrungsgemäss eher schwertut mit Gegenwartskunst, nahm einen Künstler für sich in Beschlag, der angetreten war, dem Prozess des Bewusstseins auf den Grund zu gehen. Sein philosophischer Ansatz gab etwas zu beissen und man fühlte sich im eigenen Selbstverständnis bestätigt. Grundsätzlich ist daran wenig auszusetzen, denn tatsächlich gehören die Annäherungen an erkenntnisphilosophische Texte zu den überzeugendsten und am klarsten strukturierten Werken des Amerikaners. Arbeiten wie "Remarks on Colour" (1994), wo ein kleines Mädchen Wittgensteins Text über das Wesen der Farbe mühsam und ohne eigentliches Verständnis buchstabiert, hallen lange im eigenen Denken nach.

Bilderflut
Die bildbetonten, auf schnellen Überblendungen und Stroboskopblitzen aufbauenden Arbeiten haben aus heutiger Sicht indessen einiges ihrer anfänglichen Faszination verloren. Vermittelt sich der langsam rhythmisierte Bilderfluss von "Circular Breathing", eine Projektion auf fünf wandhohe Panele, noch als multimediales Soundstück voller Poesie, entzieht sich das rasant durch den Raum bewegte Bildgeflacker von "Derwish" jeder Fassbarkeit. Die Bildfetzen, die hin und wieder von lautem Gedröhne überlagert werden, konfrontieren mit effektvoller Technik und evozieren möglicherweise auch jenen trancehaften Zustand, auf den der Titel anspielt. Sie sind aber ebenso schnell wieder vergessen wie ein paar durchtanzte Stunden. Gegenüber der Konkurrenz einer beliebigen, aber suggestiven Bilderflut aktuellster Prägung haben Gary Hills technoide Demontagen einen schweren Stand. Das Spiel mit frei flottierenden Zeichen, Ton- und Bildfetzen ist über MTV längst in die Niederungen des Alltags diffundiert. Es stellt das effektvolle Inventar der Technoclubs, wo jeder Rhythmus tanzbar und jedes Bild konsumierbar ist. Auch "Tall Ships", jene interkative Arbeit, mit der Hill 1994 an der Biennale von Venedig Furore machte, hat mit dem technischen Fortschritt und der Veränderung der Sehgewohnheiten einiges an Reiz verloren. Denn offensichtlich haben uns die Menschen, die von Sensoren gesteuert auf uns zukommen und alsbald wieder verschwinden, nichts weiter zu sagen, als dass sie im virtuellen Raum ihrer digitalen Existenz gefangen sind. Who cares?

Nichtsdestotrotz, Gary Hills Position innerhalb der Kunstgeschichte ist unbestritten. Als einer der Ersten hat er die Möglichkeiten des digitalen Mediums erkannt und mit dessen eigenen Mitteln subversiv unterlaufen. Er hat im Spiel mit der digitalen Technik einen exemplarischen Spiegel für die Bewusstseinsprozesse gefunden, die für unsere Zeit massgebend sind. Eine Frage bleibt indessen offen: Wenn Sinnlosigkeit das Gegenteil von Sinn ist, weshalb ist es denn so einfach, Sinn zu demontieren, während es ungleich viel schwieriger ist, einen neuen Sinn, eine neue inhaltliche Aussage zu postulieren.

Claudia Spinelli

Erscheinen in: NZZ, 19. 2. 2002