Claudia Spinelli

Two Bloody Maries - so what!

Barbara Mühlefluhs eigenwillige Wunderwelten

Neunundvierzig beschriftete Tafeln aus Wellplastik lehnen Seite an Seite, umranden den Raum bodennah, machen ihn zu einem bunten Spiefeld. Das lesende Auge schweift hierhin und dorthin, von Tafel zu Tafel oder quer durch den Raum. Man bewegt sich wie in einer visualisierten Geräuschkulisse, in einem Stimmengewirr, aus dem sich einzelne Eindrücke unvermittelt herauslösen, ins Bewusstsein vordringen, nachhallen: "ça suffit", "showtime", "paranoia", "noches", "scarred eyes" - Worte und Begriffe in insgesamt fünf Sprachen, in immer wieder anderer Typografie, in verschiedensten farblichen Umsetzungen. Ein auf roten Grund gesetztes "silence" mutiert zum Schrei, das verdrehte K von "AMOK" nimmt das Koma, das auf die Kurzschlusshandlung folgt, vorweg. "Ile", die Insel, ist wie von blauen Wellen umwogen, einsam und isoliert. Das "flimmern" grün in grün impliziert den telegenen Widerschein und der pastellfarbene Hintergrund verleiht dem transparenten, gleichsam hingehauchten "Liebling" einen schwülstigen Unterton. Vor Aufregung ganz hellgrün zeigt sich das "zittern" und irgendwo blubbert es blöde "error". "So what", auf dem "Spielplatz" sickert Blut und "two bloody Maries" stehen im grünlichen Dämmerlicht bereit. Bild um Bild vermitteln sich atmosphärische Stimmungen, Ansätze von Geschichten, welche die Aufmerksamkeit – ähnlich wie beim Zappen durchs Fernsehprogramm – einen Moment lang fesseln, um von einem neuen Eindruck überlagert, von einer anderen Geschichte abgelöst zu werden.

Man könnte Barbara Mühlefluhs jüngste Installation, "wonderland", als ein 'statement‘ zur Lage der Welt verstehen. Die Perspektive aus der diese Welt in den Blick genommen wird, ist von einer eigenwilliger Subjektivität. Mit Gespür und Geschick wählt die Künstlerin kulturelle Chiffren und einschlägige Codes. Sie hantiert mit stehenden Begriffen oder übersetzt massenmedial geprägte Bilder in Sprache, um dieser wiederum eine materielle Form zu verpassen. Eine neue Form natürlich, die in genau dem Mass, wie sie die eigenen, subjektiven Vorstellungen ihrer Autorin widerspiegelt, von einer zeittypischen Wirklichkeitserfahrung geprägt, also von massenmedialen Bildern beeinflusst ist. Auf diese Weise kommen Subversionen, inhaltliche Aufladungen, begriffliche Erweiterungen und atmosphärische Verdichtungen zustande. Mühlefluhs Botschaften artikulieren sich im Subtext, in der Verschiebung, in den mal heftigen, mal feinen Bewegungen zwischen Zeichen, Bild und assoziiertem Ton, im Oszillieren zwischen unterschiedlichen Bedeutungsfeldern.

Die handlichen Plastiktafeln sind keine schreienden Werbeaffichen, sondern eigenwillige Nachbilder medial produzierter Wirklichkeiten. Ironisch und frech, verführerisch und anmassend, hilflos und entwaffnend, Barbara Mühlefluhs "wonderland" kennt die Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins. Abgründiges und Grausames wird nicht ausgeklammert, bleibt jedoch angenehm abstrakt, vermittelt sich als &Mac226;suspense‘, als jenes wohlige Kribbeln, das einen – den Blick gebannt auf der Mattscheibe – spätabends an den Fernsehsessel kettet. So gesehen bewegt sich Mühlefluhs Ästhetik weit ab von der Drastik des medialen Imperativs einer Jenny Holzer. Da liegt Sylvie Fleurys Position als &Mac226;fashion victim‘ schon näher. In Bezug auf die Faszination für eine populäre, medial geprägte Kultur herrscht bei den zwei Künstlerinnen eine gewisse Übereinstimmung. Während sich die Identifikation mit Hochglanz und Glamour bei der einen jedoch in sklavischer Übersteigerung artikuliert, pflegt Barbara Mühlefluh eine aufbegehrende Liebschaft. Ihr Umgang mit der zeitgenössischen Wirklichkeit orientiert sich an einer Blickrichtung, die auf einer subjektiv gefärbten Poesie abstützend, die eigene Autorenschaft in den Vordergrund stellt.

Die persönlichen Vorlieben Barbara Mühlefluhs gelten vorzugsweise trivialen Produkten: B-Movies, Actionfilme, Science Fiction-Abenteuer – mit zum Teil erheblichem Gewaltanteil. Man könnte Barbara Mühlelfuhs eigenwillige Poesie mit Rockmusik vergleichen. Mit dem dumpfen, aber intensiven Beat eines verstärkerlos abgespielten "Born to be wild". Dies deshalb, weil Barbara Mühlefluh in abstrakten Umsetzungen sublimiert, ihre Botschaften nicht laut herausschreit, sondern Inhalte evoziert. Kein Pathos also und Dramatik höchstens in einem übertragenen Sinn, wie in der "mad b. toy collection", der Multiple Serie, welche die Künstlerin seit Weihnachten 1998 beständig ausbaut und erweitert. Der &Mac226;gesoftete‘ Revolver – der aus Plastikfolie genähte TV, dessen Bilder man von Hand auswechseln muss – die detailgetreue, aber schaumstoffweiche Kettensäge: die Teile sind eine Art Spiegzeug für die Seele. Virtuelle Blitzableiter, die letztlich eine deutliche Absage an jegliche Form tatsächlicher Gewalt in sich tragen.

Barbara Mühlefluhs Werkprozess ist von einer durchgängigen Konsequenz. Skulpturale Objekte übersetzen metaphorische Bilder in Handlungsanweisungen, auf Blachen aufgemalte Beschreibungen verdichteten wie Filmstills und räumliche Anlagen werden zu begehbaren Filmsets. Abstraktion, Umwertung und Reduktion sind die ästhetischen Mittel, mit denen die Künstlerin seit Jahren arbeitet. Mit deren Hilfe sie sich ein eigenes, persönliches Universum aufbaut. Ein Universum, das sie einer tatsächlichen, bedrohlichen Wirklichkeit entgegenhält, um sich in ihr als feinfühliges Individuum zu behaupten. Barbara Mühlefluh ist die sensible Regisseurin einer wunderlichen Welt, eines "wonderlands", in das sie ihrem Publikum freimutig Einlass gewährt. Wenn sie aus Müllsäcken gebastelte Formen über mehrere Räume verteilt auf dem Boden auslegt, dann wähnt man sich in einer Kraterlandschaft, fühlt sich wie eine Abenteurerin auf der Pirsch, unbesiegbar wie Superwoman oder Lara Croft. Barbara Mühlefluh nimmt uns gleichsam an der Hand und erobert - den Revolver schussbereit im vor Entschlossenheit leicht zitternden Griff - ein längst verloren geglaubtes Terrain zurück: die Möglichkeit authentischen Erlebens, der Selbstfindung in einer durch und durch medial vereinnahmten Welt.

Erschienen in: Barbara Mühlefluh, Cahier d’Art, Pro Helvetia, Herbst 2001