Konrad Tobler

Der erotische Knoten


Zur neuen Malerei von Pascal Danz

Die Malerei ist ein Begehren: ein Begehren nach Bildern, die schon da sind, nach Bildern, die verschwunden sind. Und nach Bildern, die erst noch auftauchen werden.
Die Malerei also ist eine Maschinerie des Begehrens. So könnte man ein Wort von Eugène Delacroix abwandeln, der notierte, ein Bild sei eine «Maschinerie, an der alle Systeme für ein geübtes Auge erkennbar sind». Damit meinte der französische Maler, dessen Modernität noch immer unausgeschöpft ist, vor allem die Vielschichtigkeit, welche die Malerei auszeichnet – es ist eine Palette von Bedeutungen in der Malerei, die von der komplexen Materialität der Farben über den Pinselauftrag, von der Idee bis hin zum Bild und dessen Bezug zur Wirklichkeit reicht.

Es mag erstaunen, wenn im Zusammenhang mit der Malerei von Pascal Danz zuerst von der Maschinerie des Begehrens und dann vom «Romantiker» Delacroix die Rede ist. Denn weder ist diese Malerei so gestisch und direkt ein «Fest für die Augen», wie das Delacorix apodiktisch von einem Bild forderte, noch neigt sie zu einer unmittelbaren Sinnlichkeit, die im Wort des Begehrens mitschwingt.
Eher schon liesse sich die Behauptung untermauern, Danz untersuche mit den Mitteln der Malerei die Wahrnehmung, konstruiere also höchst raffinierte Wahrnehmungsmaschinerien.
Das ist gewiss der Fall, geht der Maler doch von der Veränderung aus, die Bildsysteme in der Malerei erfahren, welche entweder fotografisch analog, in Druckverfahren gerastert oder im Interent in Pixel aufgelöst entstanden sind. Danz projiziert diese Bilder nicht direkt auf die Leinwand, sondern lässt sie dort erst nach einem Durchgang in seinem mentalen Bildgedächtnis wieder aufscheinen. Dass sie sich dabei verändern, neue Konnotationen, neue Farbwerte, neue Strukturen annehmen, versteht sich von selbst.
In den neueren, zudem grossformatigeren Bilder ist Danz zu einem weiteren Grad des malerischen Wirklichkeitsbezuågs vorgestossen. Es ist eine Art von zweitem, drittem oder x-tem und damit aufgehobenem Naturalismus, den er praktiziert, indem der Computerbildschirm wie ein reales Fenster neben der Staffelei steht. Dabei gibt es mindestens zwei Unterschiede zur Plein-air Malerei im weiten Wortsinn oder zur Fotografie, die als Vorlage dient: Das Naturbild schiesst vor einem Erfahrungs- und Traditionshorizont zu einem neuen Bild zusammen. Die optischen Unschärfen werden durch den Blick und dann durch den Pinsel ergänzt. Bei der fotografischen Vorlage übernimmt diese Ergänzung – es ist letztlich eine Entscheidung – die Optik der Linse. Es sei denn, der Maler befreie sich von der Fixierung auf dies Bild. Erst dann wird sich sein Begehren auch ästhetisch entfachen.

Das Pixelbild nun mit seinem leichten Flimmern führt wieder zu einer Art Urzustand zurück: jeder Uebergang, den ein Pixel abstrahiert darstellt, ist eine ausserästhetische, rein digitale Entscheidung. Sie fordert in ihrer Struktur, die analog von der Chaostheorie beschrieben wurde, im Prozess des Malens eine malerische, eine ästhetischen Entscheidung. Bei dieser interessiert nicht die Frage der Unschärfe (wie das unlängst allzu häufig für die neueste Malerei thematisiert wurde). Bei dieser Entscheidung liegt das Interesse genau in diesem Inter-Esse: diesem Zwischen-Sein.
Das Interesse liegt im bestimmten Unbestimmten. Dieses bildet den Ort des Begehrens, den Ort des Bezugs – und des ständigen Entzugs. Es ist ein Bereich der Berührung, die der Pinsel zwar vollzieht, erst vom Auge aber gespürt wird. Mythologisch nennt sich das die «Atmosphäre»:
«... so bemerken wir zwischen den Gegenständen eine Art Verbindung, welche durch die umhüllende Atmosphäre und Reflexe aller Art gebildet wird, die jedes Objekt sozusagen an einer Art allgemeiner Harmonie teilnehmen lässt. Es ist das ein Reiz, auf den die Malerei nicht verzichten kann.» (Delacroix)
«Reiz» ist das durchaus schöne, weil zweideutige Reizwort: Denn hier, in diesen Bereichen, entsteht das flottierende Begehren der Malerei. Das ist der Kern ihrer Erotik. Oder der erotische Knoten der Malerei.

Darauf richtet sich die Schärfe des Blicks. Er ist dem malerischen Begehren nicht fremd. Denn das mikroskopisch Unbestimmte erweist sich – so jedenfalls hat das Kant in seiner «Dialektik der reinen Vernunft» beschrieben – für die Wahrnehmung (und die Erkenntnis) als ein indefiniter Prozess der immer kleineren Einheiten. Es ist letztlich ein Prozess des Zerfalls der Einheit, des Begriffs – und damit des fixen Bildes, auf das die Erfahrung immer wieder zu rekurrieren droht, um zumindest in der Wahrnehmung einen festen Halt zu haben. Das Begehren beginnt in diesem fluktuierend Unstrukturierten, dessen Spannung sich aus der sich entziehenden Nähe und der begehrenden Ferne nährt.
Mit Unschärfe, nochmals, hat das nichts zu tun. Aber Illusion ist, wenn das fixe Bild die Rettung der Malerei sein sollte. Dazu, wiederum, Delacroix: «Wenn jedes Detail auch von einer Vollkommenheit ist, die ich unnachahmlich nennen möchte, so bietet dagegen die Vereinigung der Details selten eine Wirkung dar, wie sie im Werke eines grossen Künstlers aus dem Gefühl der Gesamtwirkung und Komposition hervorgeht.»

Das Inter-Esse, das als Begehren, als Erhaschen, als Abtasten zu umschreiben ist, betrifft, selbstverständlich, nicht nur jenes Zwischen, jene scheinbar verschwindenden Leerstellen zwischen dem bestimmten Unsichtbaren, sondern ebenso sehr die grossen Leerstellen zwischen dem noch unsichtbaren Bestimmten – jenem also, das erst aus ersteren, aus diesen das Entgrenzte begrenzenden Pixeln entsteht: als Bild, als Maschinerie des Begehrens.
Dass dabei der von Delacroix übernommene Begriff der «Maschinerie» eine technologisch veraltete Metapher ist, wenn von Pixeln die Rede ist, spielt hier zur Frage der Malerei keine zentrale Rolle. Denn im Focuss stehen farbliche Bezüge, historische Bezüglichkeiten und malerische Anzüglichkeiten, es kreisen Schwingungen, aber ganz konkrete. Umkreist wird ein diffundierendes Bild-System. Es zeichnet sich weniger durch einen abgrenzenden Schriftcharakter aus, auch nicht durch deutliche Zeichenhaftigkeit, sondern durch eine dem Begehren eher adäquate Form der Spur.

Wie auch immer die Technologie der Gegenwart in der Malerei mitspielt: Getragen wird dieses diffundierende Bild-System stets von der Haut der Malerei. Diese ist das blinde, jedoch unendlich vibrierende, flimmernde Organ der Wahrnehmung. Diese begehrt die Gegenstände des Bildes. Die Gegenstände finden sich im Zwischenraum und ertasten hier ihren Rand.
Von «Rändern der Gegenstände» spricht Cézanne am 25. Juli 1904 in einem Brief an Emile Bernard. Es erweist sich, dass die Ränder der Malerei ihr Zentrum sind. Dort berührt sie sich selbst. Dort entsteht ihr Fluidum. Dort berührt sie die Augen und wird sie von den Augen berührt.
Von der «Durchtastung des Raumes» spricht Max Beckmann: Das Begehren der Malerei ist ein Tasten, nach dem das Reden und Schreiben über Malerei immer wieder getastet hat – kein Zufall wohl, dass die Malerei von Pascal Danz zum Schluss eine knappe Aussage von Joseph Marioni herbeizitiert: «Die Kunst der Malerei ist im Augenblick frei, das Pathos des menschlichen Begehrens innerhalb ihrer eigenen konkreten Realität zu untersuchen.»