FRAGEN AN SYLVIE FLEURY
gestellt von Theodora Vischer

Dein Beitrag zur Ausstellung check in! ist kein Werk im Museum, sondern Du hast das Motiv kreiert, das auf allen Publikationen zur Ausstellung erscheint. Wer oder was ist dieses kleine Wesen?
Es kommt aus Japan, eine Comicfigur als Schlüsselring.

Ich habe Dir vor einiger Zeit von der Ausstellung erzählt und Dich gebeten, einen Vorschlag für das Plakat zu machen. Wenig später hast Du uns ein Foto der kleinen Figur geschickt. Wie bist Du darauf gekommen?
Es hing in meinem Auto und sprang mir gewissermassen ins Auge. Weil es ein Schlüsselring ist, passt es irgendwie zur Idee von check in! Als Kopf hat die Figur nur ein grosses Auge, der ganze Kopf besteht aus einem Auge. Es sieht wahrscheinlich alles. Der Körper besteht aus einem Auge. Es sieht wahrscheinlich alles. Der Körper sieht aus wie ein Stern. Der Kopf bzw. das Auge ist weich, und der Körper scheint mit Sand gefüllt zu sein. Aber so läuft das meistens, Du hast mich eingeladen, an dem Projekt teilzunehmen und eine Art periphere Geographie eines Ereignisses so weit wie möglich auszudehnen regt meine Phantasie an, und dieser kleine Ausserirdische kann dabei hilfreich sein.

Du hast das Motiv in einem Bereich gefunden, der der Welt der Massenmedien viel näher ist als dem Bereich, in dem man traditionellerweise die Kunst einordnet. Das ist sicher kein Zufall, denn Du arbeitest sehr bewusst mit "Material" und Strategien aus dem Bereich der Massenmedien, genauer der Werbung. Wie siehst Du das Verhältnis zwischen den beiden Bereichen, zwischen der Sprache der Massenmedien und der Sprache der Kunst? Gibt es Berührungspunkte? Oder würdest Du den Unterschied gar nicht so betonen?
Ja, das Motiv ist eine jener Phantasiefiguren, wie sie in Comics vorkommen und später in Filmen wieder auftauchen; Geist. Das heisst, es gibt keine Grenzen. Die Vorstellung vom idealen Ort klingt restriktiv und religiös. Räume, Ausstellungsräume sollte man als Instrumentarium sehen, als Instrumente, die wir genau kennen. Uns sie ermöglichen, dass man sofort weiss, worum es geht. Für manche ist das ideal. Auf jeden Fall ist es effizient, und die konventionelle weisse Schachtel, die die zeitgenössische Kunst ziert, funktioniert immer. Aber wie alles, was immer funktioniert, kann es auch sehr langweilig werden, weshalb es dann eben doch nicht funktioniert. Mit anderen Instrumenten passiert einem das nicht, mit solchen, die man sieht und wo man nicht widerstehen kann, sie einfach auszuprobieren. Dann gibt es da noch solche Instrumente, von denen wir nichts wissen und die wir zu erfinden versuchen. Manchmal sind Kunstwerke nicht mehr als genau das. Und manchmal ist solch ein Ankerplatz gar nicht nötig.

Welche Rolle spielt das Publikum? Ist es Dir wichtig, wie es etwas sieht, was es fühlt, denkt?
Das ist eine alte Geschichte. Das Publikum spielt eine einzige, aber entscheidende Rolle in diesem Spiel: es macht es erst möglich. Kein Publikum, kein Spiel. Ganz gleich, um was für ein Publikum es sich handelt, um Superspezialisten oder Spaziergänger. Es gibt keine Möglichkeiten, wirklich tief ins Auge des Betrachters einzudringen, aber wir wissen, dass das Publikum alles, was vorstellbar ist, sich selber vorstellt. Wenn das Publikum etwas sieht, dann sieht es vorher und nachher auch etwas, und das ist alles Teil ein und derselben Wirklichkeit. Es geht auch darum, was ich selbst fühle und denke. Es ist gut, ein Wesen mit einem grossen Kopfauge bei mir zu haben.

Was siehst Du, wenn Du Dir eine Arbeit von Dir in fünfzig, hundert Jahren im Museum vorstellst?
Ich sehe, wie das grosse Auge mich ansieht.

 

(Übersetzung aus dem Englischen: NANSEN)


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