Andrea Zittel

Andrea Zittels zehn Escape vehicles sind im letzten Jahr entstanden. Die Künstlerin liefert den Behälter und die Besitzer sollen darin ihre Fluchtphantasien entwickeln. Die bisherigen Inneneinrichtungen gehen vom Schreibzimmer über ein Jakuzi-Bad bis zur hellblauen Entspannungsecke mit Bar und Musik. Das EV der Emanuel Hoffmann- Stiftung ist nicht für eine Privatperson bestimmt, sondern für die Besucher des Museums für Gegenwartskunst. Es wurde als Videoschauraum im Deux-Chevaux-Stil eingerichtet.

FRAGEN AN ANDREA ZITTEL
gestellt von Theodora Vischer

Wo hast Du zum ersten Mal Deine Arbeit öffentlich gezeigt? Wie sah das aus?
Zum ersten Mal öffentlich gezeigt habe ich meine Arbeit in einer kleinen Gruppenausstellung, die ein Freund von mir kuratiert hat. Sie fand in einer leerstehenden Etage in Soho statt. Mein Beitrag bestand in einem Gehäuse, das ich gebaut hatte, um darin Fliegen zu züchten. Ich hatte mit 150 Hausfliegen begonnen und ihnen eine Situation geschaffen, in der sie Generation auf Generation ausbrüteten. Dabei hatte ich die Vorstellung, dass ich allein durch das Behältnis vielleicht die physische Entwicklung der Fliegen beeinflussen könnte. Ich hatte zwar schon eine ganze Weile in meinem Atelier mit der Züchtung von Tieren gearbeitet, aber ich hatte keine Ahnung, wie sich diese Art von Arbeit in einen öffentlichen Kontext übersetzen liesse. Rückblickend muss ich sagen, dass ich mit diesem Stück als Forschungsprojekt in meinem Atelier glücklicher war. Ich glaube, es bekam in der Ausstellung etwas von einer Sensation, und das hat die subtilen Züge meines Konzepts überdeckt.

Was bedeutet es für Dich, in einem Museum wie jetzt in Basel im Museum für Gegenwartskunst auszustellen?
Das Museum für Gegenwartskunst scheint mir ein wenig anders zu sein als die meisten Museen hier in den Vereinigten Staaten. Ich glaube, weil es kleiner ist, ist es flexibler, und die Rollen der einzelnen Mitarbeiter sind deutlicher zu erkennen. Einerseits macht es mir wirklich Spass, in einem Museum mit so intimem und engagiertem Charakter auszustellen. Wenn ich aber meine Arbeit in eine ganz andere Kultur als die meine einpflanze, dann habe ich andererseits auch Sorge, ob es mir gelingt, meine Ideen zu vermitteln - ich frage mich, ob die visuellen Bezüge in meiner Arbeit noch so funktionieren, wie ich es beabsichtigt hatte.

Was bedeutet ein (Kunst-)Museum allgemein für Dich? Besuchst Du Museen? Gibt es ein Museum, das Du besonders gerne magst?
Im allgemeinen war ich immer der Überzeugung, dass Museen eine ganz andere Gruppe von Menschen ansprechen als kommerzielle Galerien. Museen scheinen einen grösseren Bevölkerungsquerschnitt anzulocken - ich muss gestehen, dass ich Naturkundemuseen oder "enzyklopädische" Museen ebenso oft besuche wie Kunstmuseen. Eine meiner Lieblingsausstellungen sah ich im Naturkundemuseum in Berlin. 1995 wurde dort eine Ausstellung über die Arbeit eines Präparators gezeigt, der seit den 30er Jahren in diesem Museum tätig gewesen war. Zu sehen waren nicht nur die Entwicklung seines eigenen Handwerks, sondern auch seine subjektiven Entwicklungsprozesse einschliesslich seiner Überlegungen, welche Charakteristika seine Tiere wohl aufweisen würden. Diese Schau fand ich phantastisch, nicht nur weil es interessant war, etwas über die Entstehung von Museums-Ausstellungen zu erfahren, sondern weil sie die menschliche Subjektivität aufdeckte, die diesen scheinbar objektiven und wissenschaftlichen Ausstellungen zugrundeliegt.

Wenn ein Werk von Dir wie jetzt in Basel im Museum ausgestellt ist, welche Qualitäten möchtest Du dem Ort dann geben oder welche seiner Qualitäten werden wichtig?
Ich würde sagen, dass ich auch versuche, den Ausstellungsräumen, in denen ich arbeite, eine subjektive Ebene zu vermitteln. Ich glaube, es gibt zwei verschiedene Arten von Kunst - die eine ist eher "traditionell" (hier würde ich meine Arbeit ansiedeln), das heisst, sie funktioniert hauptsächlich auf einer persönlichen Ebene für jeweils eine bestimmte Person (die meist der Besitzer des Werks ist); und dann gibt es einen neueren Werktypus, der als Reaktion auf den öffentlichen Charakter von Institutionen entsteht und öffentlich von vielen Leuten gleichzeitig betrachtet bzw. erfahren werden soll. Ich will diese beiden Arten nicht werten, aber ich stelle fest, dass die Intention meiner Arbeit im institutionellen Kontext ein wenig kurz kommt. Deshalb versuche ich oft, dem Betrachter eine persönlichere Ebene zu ermöglichen, auf der er mit meiner Arbeit kommunizieren kann. Ich versuche, eine Phantasie darüber in Gang zu setzen, wie es wohl wäre, mit diesem Stück zu leben. So habe ich zum Beispiel versucht, einen ausgesprochen kommerziellen Zugang zu schaffen, so als befände sich die Arbeit in einem "Showroom". Ich hoffe, dass sich der Betrachter auf diese Weise vorstellt, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen und zu benutzen, anstatt dass er nur eine Botschaft in der formalen Sprache des Werks zu entschlüsseln versucht.

Würdest Du jedem Ort, an dem Du ausstellst, diese Qualitäten geben, oder sind sie spezifisch für ein Museum für Gegenwartskunst?
Nun, ich würde bei jedem "neutralisierten" Raum wie Galerie oder Museum versuchen, meine eigene subjektive Ebene hinzuzufügen. Sobald die Arbeit aber in jemandes Wohnung ist, spielen meine eigenen ästhetischen Entscheidungen keine Rolle mehr!

Gibt es einen idealen Ort, an dem Deine Arbeit gezeigt werden sollte?
Etwas "Ideales" gibt es nicht! Jede Situation ist eine Herausforderung, mal einfacher, mal schwieriger.

Deine Werke unterscheiden sich von den meisten Werken im Museum dadurch, dass sie an Gebrauchsgegenstände aus dem Alltag - an Möbel und Fahrzeuge - erinnern und auch als solche benützt werden können. Wie siehst Du Deine Arbeit im Verhältnis zu anderen Arbeiten, die im Museum gezeigt werden? Stellst Du sie Dir losgelöst, für sich stehend vor oder siehst Du sie in einer Beziehung zu anderen Arbeiten im Museum?
Ich weiss, dass meine Arbeit oft jenseits von Malerei oder traditioneller Skulptur angesiedelt wird, weil sie von der Funktion zu handeln scheint. In meinen Augen erfüllt jede Kunst irgendeine Funktion, und letztendlich sind psychologische und physische Funktionen sehr ähnlich. Für mich ist Kunst der unmittelbare Niederschlag von Wünschen und Werten der Menschen. Bislang habe ich meine Arbeit weniger als Darstellung fixer Theorien oder Ideologien angelegt, sondern eher als Versuch, Werte oder Bedürfnisse in Frage zu stellen und besser zu verstehen. Als ich beispielsweise meine erste Wohneinheit auf der Grundlage meiner eigenen persönlichen Bedürfnisse entwarf, fürchteten die Leute, dass ich diesen Lebensstil ffr alle verbindlich vorschreiben wollte und dass das entschieden zu restriktiv sei. Als nächstes schuf ich eine Serie von Stücken, die sich in hohem Mass den individuellen Bedürfnissen anpassen liessen, und ich stellte klar, dass das im Sinne der Arbeit wäre. Doch obwohl die Leute diese Arbeit kauften, nahmen nur wenige von ihnen persönliche Veränderungen darin vor. Meiner Meinung nach zeigen diese Stücke, dass viele Leute tatsächlich eine Kunst wollen, die als Autorität funktioniert, das heisst sie schätzen eine gewisse Sicherheit in den vom Künstler festgelegten Grenzen. Ich erkläre Ihnen das, um verständlich zu machen, dass meine Arbeit ein fortlaufender Versuch ist zu verstehen - und nicht bloss darzustellen.

Welche Rolle spielen die Besucher und Besucherinnen? Ist es Dir wichtig, was sie denken, fühlen, sehen und tun?
Natürlich... Eigentlich fühle ich mich einem nicht kunstspezifischen Publikum mehr verbunden als der engstirnigen Kunstgemeinde. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich in einer Situation aufgewachsen bin, wo weder ich noch sonst irgend jemand, den ich kannte, auch nur die leiseste Ahnung von zeitgenössischer Kunst hatte. Deshalb muss ich mich ständig bemühen, meine Vorstellung von Kunst mit meinen Erfahrungen in der Welt in Einklang zu bringen. Wege zu finden, wie sich beides überschneiden und gegenseitig befruchten kann. Natürlich kann es schwierig sein, das Verhältnis der Museumsbesucher zu meiner Arbeit genau einzuschätzen, aber aus ganz persönlichen Gründen ist die Reaktion alltäglicher Museumsbesucher für mich sehr wichtig... wahrscheinlich genauso wichtig wie die kritische Einschätzung durch Kunstprofis.

Was, denkst Du, kann Deine Arbeit, zum Beispiel ein "Escape Vehicle", vermitteln? Ist es eine ganz direkte Erfahrung? Ist es eine unerwartete und wichtige Erkenntnis? Bereitet sie ein Vergnügen? Wirft sie Fragen auf?
Die "Escape Vehicles" sind Ausdruck unseres Wunsches nach einem sicheren und behüteten Universum, in das jeder Besitzer seine eigenen Rückzugsphantasien hineinprojizieren kann. Sie handeln von unserer Neigung, uns auf innere Welten im Gegensatz zur äusseren Welt zu konzentrieren. Für mich sind die "Escape Vehicles" Objekte, die solche Qualitäten nicht abbilden, sondern verkörpern wollen. Insgesamt habe ich zehn "Escape Vehicles" gemacht; inzwischen ist jeder einzelne Innenraum vom jeweiligen Besitzer nach dessen individuellen Rückzugsphantasien gestaltet.
In der Vergangenheit gab es immer eine Kluft zwischen jenen Stücken, die ich selbst gern herstellen und zum Leben benutzen wollte und solchen, die die Leute, welche sie letztlich erwarben, am liebsten benutzen wollten. Da die "Escape Vehicles" selbst eher "Luxusgegenstände" denn notwendige Utensilien sind, glaube ich, dass es für die Besitzer leichter ist, sie in ihr alltägliches Leben zu integrieren. Natürlich führt das zu der Ironie, dass diese Sammler beispielsweise ein "Escape Vehicle" kaufen, in das sie sich vor ihrem geschäftig-vollgestopften Leben flüchten... aber letztendlich ist das "EV" doch ein weiterer Gegenstand, der ihr Leben anfüllt.
Das "Escape Vehicle" für das Museum für Gegenwartskunst wurde offensichtlich nicht für die individuelle Verwendung gekauft, sondern für eine Institution. Theodora Vischer hatte die Idee, das "EV" als Videoraum zu nutzen. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch in einer Institution die Entscheidungen von Individuen getragen werden.

Was siehst Du, wenn Du Dir Dein Werk in fünfzig, hundert Jahren im Museum vorstellst?
Ich möchte, dass meine Stücke nicht aufhören, Bedeutungen zu schaffen, auch nachdem ich sie abgeschlossen habe. Ich hoffe, dass eine Ausstellung dieser Stücke ihren Besitzern und Benutzern eines Tages verdeutlicht, welche Rolle diese Arbeiten zu ihrem Leben gespielt haben. Jedes Stück sollte zusammen mit Photos und Texten ausgestellt werden, die die unterschiedlichen Erfahrungen und Reaktionen hinsichtlich der einzelnen Arbeiten aufzeigen. Ich mache solche Ausstellungen jetzt noch nicht, weil es vielleicht ein ganzes Leben dauert, um jenen Reichtum zu entwickeln, der Grund für eine solche Dokumentation wäre.

 

(Übersetzung aus dem Englischen: NANSEN)


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